Nach einem
Winter in Deutschland stand für mich fest, dass ich den Sommer wieder in Island verbringen wollte. Dank Covid gab es
für mich eh nichts anderes zu tun, und Island hatte die Ausbreitung
des Virus viel besser im Griff, weil der Grenzverkehr (der einzige
internationale Flughafen und die einzige Personenfähre) so leicht zu
überwachen ist. Ich bin also Anfang März zurück nach Island
gereist, das ja mittlerweile meine zweite Heimat geworden ist, und
habe die fünftägige Quarantäne unruhig ausgesessen. Unruhig
deswegen, weil ständig die Erde wackelte!
Ich denke, ihr
wisst mittlerweile alle, dass Island auf dem mittelatlantischen
Rücken liegt und unter der Insel die beiden weltgrößten Kontinente
auseinander driften. Es gibt zwar die Theorie, dass Island Teil eines
verborgenen Kontinents sein könnte, welcher „Islandia“ heißen
könnte, wenn es ihn denn wirklich gibt, aber das ist bisher
tatsächlich nur eine These. Also: gehen wir von der alten Annahme
aus, dass Island eine Insel ist, die deshalb entstanden ist, weil
Nordamerika und Eurasien in die entgegengesetzten Richtungen streben.
Zusätzlich gibt es mittig unter der Insel einen Hot Spot: eine
ungewöhnlich heiße Region des Erdmantels, die zu erhöhter
vulkanischer Aktivität in der darüber liegenden Erdkruste führt.
Wir haben im Falle Islands also eine dünne Kruste mit direkter
Magma-Verbindung zum Erdinneren, und zusätzlich dazu zwei
Kontinental-Ränder, die auseinanderdriften. Und das sorgt für
Zündstoff - in Form von Vulkanausbrüchen und
vielen, vielen Erdbeben.
Quelle: Wikipedia. Furfur, Public domain, via Wikimedia Commons |
Am
24. Februar 2021 gab es auf Reykjanes ein Erdbeben von der Stärke
5,7, das bis nach Nordisland gespürt wurde. Dies
war der Auftakt einer ziemlich einmaligen Erdbebenserie: innerhalb
der nächsten drei Wochen gab es über 50.000 Erdbeben! Die meisten
waren zu schwach, um sie wahrzunehmen, aber es gab Dutzende von
Erdbeben der Stärke 3 und größer.
Ich selber habe minimal die
2.7er Beben spüren können, und erst bei den Beben von knapp 4.0
habe ich auch das tiefe Dröhnen vernommen, das so typisch
für stärkere Erdbeben ist. Erdbeben verursachen verschiedene
Erdbewegungen: die P-Welle (Primärwelle) ist am schnellsten, und die
kann man hören, die klingt, wie ein vorbeifahrender Zug: ein
dunkles, tiefes Donnern, das definitiv aus einer Richtung kommt, der
Richtung des Epizentrums. Unmittelbar danach kommt die meist viel
stärkere S-Welle (Sekundärwelle), die dann alles zum Wackeln
bringt. Zählt man die Sekunden zwischen dem Auftreten des Geräusches
(Ankunft der P-Welle) und dem Beginn des Wackelns (Ankunft der
S-Welle), und multipliziert sie mit 8, bekommt man die Kilometer,
welche einem vom Epizentrum trennen. Die Sekundärwelle geht meist
reibungslos in die sogenannten Oberflächenwellen über, die dann
wieder eine andere Bewegung mit sich bringen: spätestens dann
wackelt alles, wie auf einem Schiff. Aber wenn man das Glück bzw.
Pech hat, alle drei Wellen mitzubekommen, handelt es sich echt um ein
heftiges Erdbeben... Bin
mir nicht sicher, ob ich diese Erfahrung irgendjemandem wünschen
oder anraten soll...
Sorry, zurück zum Thema: Erdbeben in
Reykjavík. Da es drei Wochen am Stück täglich immer wieder
wackelte, versuchten wir ständig, die Beben ihrer Stärke nach
einzuschätzen. Eine typische Konversation in dieser Zeit war etwa:
„Heissa, das war ja wohl heftig! Was meinste, war das ein
Fünfer?“
„Neee, das war maximal ein 4,5er! Bei einem Fünfer
wären die Tassen im Küchenschrank umgefallen!“
Besagter
Küchenschrank war während dieser Zeit mit einem Kochlöffel so gesichert, dass er sich nicht selbstständig öffnen
konnte...
Und eine andere, ebenfalls typische Konversation
war:
„Und, hast du heute Nacht schlafen können?“
„Machst
du Witze? Zweimal bin ich aufgewacht! Das stärkste Beben war
3.5.“
„Echt? Hab ich gar nicht mitbekommen. Unser Hund stört
sich mittlerweile auch nicht mehr dran, dabei war er so panisch in
den ersten Tagen...“
Es ist wirklich erstaunlich, wie normal
Erdbeben werden, wenn sie einfach nicht aufhören. Ein solcher
Erdbebenschwarm, der vulkanischen Ursprungs ist (dazu komme ich
gleich...) produziert extrem selten stärkere Erdbeben als 5.0 - die
Gefahr eines Bebens von bis zu 6.0 war zwar gegeben, aber
doch relativ unwahrscheinlich. Ich selbst war total angetan von dem
ständigen Gewackel, denn ich finde diese unabsehbaren und
unstoppbaren Kräfte der Natur einfach nur faszinierend! Damit
gehörte ich aber mal wieder zur Minderheit - seltsam, ich verstehe gar
nicht, warum... ;-)
Mein Hauptinteresse lag im März
allerdings auf der Ursache der Erdbeben: das war nämlich nach oben
steigende Magma! Es fand eine sogenannte Intrusion statt: unter der
Halbinsel Reykjanes drückte sich flüssige Magma durch die
Erdkruste, welche dann die ganzen Erdbeben auslöste. Sah man sich die Lage der Epizentren der ganzen Erdbeben an, ergab sich eine ziemlich beeindruckende Karte, welche
zeigte, wo sich die Lava befand, die immer
höher aufstieg.
Die Erdbeben visuell aufbereitet: hier kann man wunderbar sehen, wo sich die Intrusion befindet. Quelle: Facebook, by Hjörtur Sigurðsson |
Meine Gedanken kreisten um nichts anderes als die Frage: wo wird es zum Vulkanausbruch kommen? Je länger die Erdbeben andauerten, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich zu einer Eruption kommen würde, irgendwo zwischen Grindavík und dem Berg Keilir. Und deshalb reiste ich sobald wie möglich nach Grindavík. Diese Stadt von knapp 3500 Einwohnern liegt etwa 35 km südwestlich von Reykjavík, an der Südküste der Halbinsel Reykjanes gelegen. In ihrer direkten Nähe befanden sich die Epizentren der meisten Erdbeben. Aus nur 3 bis 8 km Entfernung sind 3er-Erdbeben so stark, dass an durchgehenden Schlaf nicht zu denken war, Bücher aus den Regalen fielen und sich kleine Risse in Hauswänden und Straßen auftaten. Es gab sechs Erdbeben stärker als 5,0 (von insgesamt über 50.000 Erdbeben...) - und ziemlich beeindruckende Überwachungskameraaufnahmen von dem zweitstärksten Beben der Serie (ein 5,4er), die ihr hier anschauen könnt:
Isländische Nachrichten zum 5.4er Erdbeben am 14. März 2021
Die
Bewohner der Stadt waren fertig mit ihren Nerven: wegen
des ständigen Gewackels kaum Schlaf, und
dazu die Furcht, dass sich quasi unter der Stadt die Erde öffnen und
ein Vulkanausbruch beginnen könnte. Die meisten hatten eine
Notfalltasche gepackt, um ihr Haus sofort verlassen zu können. Ein
ganz schöner Nervenkrimi... Nicht wenige Bewohner nahmen sich kurze
Auszeiten bei Bekannten und Verwandten, um fort zu kommen aus dem
Erdbebengebiet. Tourismus gab es keinen, es war ja März und
Covid-Hochsaison. Und so kontaktierte ich die günstigste Herberge
vor Ort und fragte, ob Interesse an einem Langzeitmieter bestände.
Die Antwort war ein so dermaßen gutes Angebot, dass ich sofort
einzog: zum ersten Mal seit langer Zeit mietete ich also wieder ein
Zimmer in Island! Und das an einem Ort, von dem sonst fast alle fort wollten... Hihi! :)
In den folgenden Tagen erforschte ich die
Stadt und die Umgebung, auf der Suche nach sichtbaren Anzeichen von
Erdbeben. Die waren nicht ganz so offensichtlich, aber wer suchet,
der findet!
;-)
Außerhalb der Stadt waren einige Straßen und
Wege von Rissen durchzogen - das war wirklich beeindruckend. Ganz
besonders krass war eine Hangstraße betroffen, die 40 cm abgerutscht war. Erdbeben zu hören und zu spüren ist eine
Sache - aber dann langfristige Auswirkungen in der Landschaft zu sehen, ist nochmal
eine andere Kategorie. Beeindruckend, einfach nur beeindruckend!
Am dritten Tag in Grindavík gingen die Erdbeben spürbar zurück - und ich war echt enttäuscht. Hieß es, dass die Intrusion zum Stillstand gekommen war?
Mit dieser Frage war ich nicht alleine: ganz Island wollte wissen, was nun mit diesem Vulkanausbruch in spe los war. Aber wie immer bei solchen Naturereignissen gab es nur eine Möglichkeit: abwarten und sehen, ob bzw. was sich ergeben würde.
Und als ich dann gerade meinen fünften Tag in Grindavík verbracht hatte und nach einer langen Wanderung beim Abendessen saß, spielte die isländische Medienwelt plötzlich verrückt. Um kurz vor 21 Uhr konnte ganz Reykjavík und Grindavík ein Glühen am Horizont erkennen, das immer stärker wurde. Ein helles, rotes Glühen!
Da kommen sicher noch tolle Bilder von dir.Liebe Grüße Ulla
AntwortenLöschenStill waiting😉
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