Am 19. März um
20:45 Uhr war es soweit: auf Reykjanes hatte eine Eruption
begonnen, zum ersten Mal seit 800 Jahren! Das rote Leuchten war aus weiter Ferne zu sehen; ganz Island war aufgeregt und wollte mehr wissen. Ein Erkundungsflug des Katastrophenschutzes brachte erste Bilder und
eine ungefähre Ortsangabe: eine 150-200
Meter lange Spalte hatte sich aufgetan in den sogenannten "Geldingadalir", einem kleinen Tal genau östlich des 390 Meter hohen
Berges (und ehemaligen Vulkans) Fagradalsfjall.
Quelle: vedur.is |
Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein totaler Vulkan-Fan bin. Ich fliege deswegen nicht um die Welt (das halte ich in Zeiten der Klimakrise für ethisch nicht vertretbar - daher war ich jetzt auch nicht auf La Palma...) - aber wenn ich in Island bin, dann versuche ich, den Ausbruch mitzubekommen.
Als ich Mitte März das Zimmer im Erdbebenepizentrum Grindavík mietete, da lächelten die Leute über mich, und wurde mir gesagt: „Die Intrusion kann einfach aufhören, oder noch Wochen bis Monate auf sich warten lassen, bis es zum Ausbruch kommt.“
Und klar, das stimmte. Aber mein Bauchgefühl drängte mich zur Eile: je besser mensch* vorbereitet ist, desto schneller und effektiver kann mensch* reagieren - das ist ja immer so im Leben. Und genau deswegen hatte ich in den Tagen nach meiner Ankunft in Grindavík schon mehrere lange Wanderungen zurückgelegt, um die Gegend besser kennenzulernen, hatte Landkarten studiert und mir potentielle Ausbruchsstellen im Kopf und auf der Karte bereits über einen Wanderweg erschlossen. Mein Vulkan-Wanderrucksack war gepackt: darin enthalten Helm, GPS und meine gesamte 'Extrem-Wanderausrüstung', genau wie auch eine Gasmaske mit Ersatz-Filtersets.
*Ja, das ist gendern, und ja, ich versuche mich jetzt auch daran, Schritt für Schritt in Richtung einer gerechteren Sprache. Und statt man/frau nutzt Mensch jetzt halt 'mensch'. Klingt total nett im normalen Sprachgebrauch, versucht es mal! :)
Ebenfalls Tage
vor dem Ausbruch hatte ich bereits Kontakt aufgenommen mit dem
isländischen Katastrophenschutz und sie nach den Ansprechpartnern
gefragt, an die ich mich wenden musste, für den sehr
wahrscheinlichen Fall, dass wegen des
Vulkanausbruchs die Umgebung gesperrt
werden würde. Gibt es eine Sperrzone, dann
werden Wissenschaftler:innen und Presse
normalerweise bis
zu einem gewissen Aussichtspunkt durchgelassen - und genau das wollte
ich gerne vorher schon geklärt haben. Eine Antwort kam zwar, aber
genau so, wie ich sie es erwartet hatte:
„Nö, diesbezüglich
haben wir uns noch keine Gedanken gemacht, es kann ja noch Monate
dauern, bis es zum Ausbruch kommt...“
Die Polizei der Gegend war
ähnlich ratlos.
„Aber es gibt doch noch gar keinen
Vulkanausbruch!“ wurde mir verwundert gesagt.
Oh Leute. Mal etwas davon gehört, die Dinge schon zu planen, bevor sie
geschehen...?
Und weil der aktive
Vulkanausbruch jetzt da war und ich so schnell wie möglich dahin wollte, versuchte ich es Freitag Nacht nochmal. Ich sprach bei der Polizei vor, welche zusammen mit unzähligen Teams der Bergrettung alle Zufahrtsstraßen absperrten, die in die Nähe des
Ausbruchs führten. Aber wie erwartet hieß es da nur: „Nein, wir
lassen da niemanden hin, es müssen erst Spezialisten einschätzen,
wie gefährlich das Ganze ist.“
Hmmm... Ich habe mich ja nun auch schon etwas eingelesen in das Thema bzw. weiß schon etwas mehr über isländische Vulkane. Ja, der Vulkanismus auf Reykjanes ist ziemlich kompliziert, aber es handelte sich ganz klar um eine Spalteneruption jenseits von
Wasserquellen und ohne eine Magmakammer - also von der harmlosesten
Sorte, welche mensch sich vorstellen kann - und zudem eine ziemlich
kleine, das hatten mir die ersten Bilder schon gezeigt. Die größte
Gefahr ging von verschiedenen Gasarten aus, die sich in Senken
sammeln konnten - aber ich wollte ja gar 'nur'
auf eine der umliegenden Bergkuppen, um Lava zu sehen. Das allerdings
so bald wie möglich, denn ich befürchtete, dass diese Eruption nur
wenige Stunden andauern könnte. Bei den Krafla-Feuern
(1975-84) dauerte der erste Ausbruch nicht einmal 12 Stunden. Die
Zeit drängte also!
Während ich die
Polizei davon zu überzeugen versuchte, dass ich wusste, was ich tat,
sah ich ein Presseauto nach dem anderen durch die Sperre
hindurchfahren - soviel zum Thema „Da dürfen nur Spezialisten
rein!“
Ich habe selbst einen Presseausweis, bin also theoretisch
genauso berechtigt wie die isländischen Medien, bei einer solchen
Verordnung durchgelassen zu werden - aber wie erwartet war das Ganze
vergeblich. Dazu beigetragen hat ohne Zweifel die Tatsache, dass ich
aus Klimaschutzgründen kein Auto fahre und deshalb nicht so
'professionell' rüberkomme, wie ein modisch angezogener Pressemensch
in einem Superjeep. Stur versuchte ich
es an anderer Stelle ein drittes Mal und
kam sogar bis zum Polizeichef durch,
der mir endlich eine Antwort gab: ab 7 Uhr morgens würden sie die
Straße öffnen, vorher dürfe ich mit dem Auto aber nicht näher
ran.
Oje, da saß ich jetzt in einer echten Zwickmühle. In Wander-Reichweite war ein aktiver Vulkanausbruch - und ich durfte nicht hin! Der Grund der Vollsperrung lag für mich klar auf der Hand: es sollte eine Massenwanderung in der Dunkelheit verhindert werden. Viele Isländer*innen (und Neo-Isländer*innen...) sind nämlich genauso drauf, wie ich: sie rennen hin zu Vulkanausbrüchen, nicht fort davon. Dies war eine stürmische Nacht Ende März: hätten sie die Straßen (und jegliche 4x4-Zufahrtswege) nicht gesperrt, wären hunderte bis tausende von Menschen ohne Pfad, ohne jegliche Ahnung von Gegend und Terrain querfeldein durch die Dunkelheit gestolpert: die perfekte Voraussetzung für Unfälle. Zumal von denen garantiert kaum jemand Gasmaske und Messgerät dabei gehabt hätte...
So sehr ich den
Grund für die Sperrung verstand, so sehr frustrierte es mich, dass
sie halt DOCH Leute reinließen: in Island geht alles mit den
richtigen Kontakten. Dieses ungerechte System á la „Ich kenne
jemanden, der mir Zutritt verschaffen kann, ätschbätsch“ geht mir
allerdings mittlerweile so gegen den Strich, dass ich beschloss, das
Spielchen der unterschiedlichen Interpretationen mitzuspielen. Mir
war gesagt worden, dass ich mit dem Auto nicht näher hindürfe: aber
niemand hatte mir explizit verboten, die 12 Kilometer zu Fuß
zurückzulegen! Wenn ich jetzt loswanderte (es war mittlerweile weit
nach Mitternacht), würde ich meiner Einschätzung nach ziemlich
genau zur generellen Öffnung der Gegend in Sichtweite des
Vulkanausbruchs sein und die letzte Dunkelheit noch mitbekommen
(was fotografisch sehr interessant war) - das klang nach einem guten
Kompromiss.
Und so verschwand ich dann wie eine Diebin in der Nacht und der Dunkelheit. Alles war so optimal geplant, wie möglich:
ich näherte mich aus Windrichtung an, hatte die Wettervorhersage
studiert (stabil) und bin es gewohnt, nachts in der arktischen Natur
zu wandern. In meinem Zimmer lagen Informationen über meine Route,
genau wie die Anweisung, auf keinen Fall irgendeine Rettungsaktion
für mich zu starten. Ich ging hier auf eigenes Risiko los, und damit
entsagte ich mich dem 'Recht', gerettet zu werden - nun, zumindest
war das in meinem Kopf so. Wenn dich die Offiziellen anweisen, nicht
zu gehen, und du gehst doch, dann hast du keinerlei Anspruch mehr auf
Hilfe. Diese Herangehensweise finde ich nur fair!
Die ersten
beiden Stunden rechnete ich noch nicht damit, dass meine Aktion
Erfolg haben würde: ich war diese Route noch nie zuvor gegangen,
hatte den Weg über intensives Karten-Lesen allerdings als 'gut
machbar' eingestuft. Dem war auch so: der wenig frequentierte
Wanderweg, welchem ich folgte, war super zu laufen und führte mich
an den 'schlimmsten' alten Lavafeldern vorbei. Meine gründliche Recherche hatte
sich voll ausgezahlt. Wie erwartet, so sah ich andere Menschen
durch die Dunkelheit wandern, mitten durch ziemlich unwegsames
Gelände (bröckelige, von sensitivem Moos bedeckte alte Lavafelder),
welche im Gegensatz zu mir ziemlich helle Kopflampen benutzten. Ich
habe eine exzellente Nachtsicht und bin es gewohnt, nur bei
herrschendem Umgebungslicht unterwegs zu sein. Ich kann ohne künstliches Licht
nachts dreidimensionaler sehen und viel mehr Details wahrnehmen, als
der Lichtkegel einer hellen Lampe es erlauben würde. Zumal der Wiederschein der Lava die Gegend immer mehr erhellte, je näher ich dem Ausbruch kam!
Der einfache Weg von Süden aus, den ich gerne gegangen wäre (es aber nicht konnte, weil die Straße dorthin gesperrt war), war auch frequentiert: von besagten einheimischen Pressemenschen. Denen begegnete ich dann noch, als ich auf dem Fagradalsfjall ankam: wie erwartet, so hatten sie keine Gasmasken dabei, ja trugen teilweise nicht einmal vernünftige Outdoorkleidung. Es war genau, wie ich es befürchtet hatte: sie ließen die Leute wegen ihres Bekanntheitsgrades und Vitamin B rein, und nicht unbedingt aufgrund ihrer Erfahrungen oder Qualifikationen. In dem Moment verpuffte mein schlechtes Gewissen komplett. Zumal die Morgendämmerung unmittelbar bevorstand und es nicht mehr lange bis zur generellen Öffnung des Gebietes war...
Als ich den Fagradalsfjall emporkraxelte (da gab es noch keinen Weg, dieser Berg war vor dem Vulkanausbruch ein extrem selten besuchtes Ausflugziel) stieg meine Aufregung und Vorfreude. Das rote Glühen wurde immer intensiver und letztlich so stark, dass es die ganze Umgebung aufhellte, wie ein roter Vollmond. Und als ich schließlich nassgeschwitzt das Plateau des Berges erreichte und dem sich zurückziehendem Team des staatlichen Fernsehens 'RUV' grüßend zunickte, da war es endlich soweit: ich konnte den Vulkanausbruch sehen! Wie irre war das denn, bitteschön?
Der junge Krater mit dem Berg Keilir im Hintergrund |
Die folgenden Stunden vergingen wie in einem
Augenblick. Ich ging noch ein wenig näher ran, blieb aber oben am
Bergrücken. Dieser Anblick war so gigantisch, dass ich erstens gar
nicht näher hin wollte und zweitens ich sowieso viel lieber in
sicherer Höhe blieb. Ein Vulkanausbruch fördert neben der Lava
immer auch große Mengen von Gasen, von denen einige ungefährlich
für uns sind, andere aber tödlich: darauf gehe ich in einem
späteren Beitrag nochmal genauer ein. In etwa 300 Metern Entfernung
saß ich oben am Berghang und blickte auf die leise fauchenden
Vulkanschlote und die sich langsam um sie herum ausbreitende Lava
hinab. Ich sah zwei andere Leute, welche sich ins Tal hinunter gewagt
hatten, ohne Gasmaske und scheinbar ohne jegliche Ahnung von der
potentiellen Gasgefahr. Der Helikopter der Bergrettung kam, als es
gerade hell genug geworden war, und wies besagte Tal-Wanderer mit
Lautsprecheransagen an, gefälligst von dort zu verschwinden. Mich
sahen sie bestimmt auch, aber ich saß in gesunder Distanz und Höhe,
und zudem war es jetzt nach 7 Uhr - also war alles im grünen
Bereich!
In diesen Stunden, die sich wie Minuten anfühlten,
machte ich keine preisverdächtigen Fotos - das wollte ich auch gar
nicht. Ich war einfach nur glücklich, dass ich den Vulkanausbruch
sehen durfte, bevor er aufhörte. Hach, im Nachhinein ist es schon
lustig, dass dies meine größte Angst war: dass ich den
Vulkanausbruch verpassen könnte, weil er nur ein paar Stunden
andauern könnte, eben wie die Krafla-Feuer. Aber wer hätte denn
Ende März schon gedacht, dass dieser Vulkanausbruch ein halbes Jahr
lang währen würde?
Und so saß ich dort
oben, fasziniert und voller Ehrfurcht, so etwas erleben zu dürfen.
Ich sog alle Sinneseindrücke in mich auf. Das Leuchten der Lava:
orange in allen Schattierungen. Das Geräusch der beiden direkt
nebeneinanderliegenden und sich langsam immer höher aufbauenden
Schlote: ein Fauchen und ein Platschen, das wie ein Solfatar und eine
Schlammquelle in einem Hochtemperaturgebiet klang - nur halt größer.
Die Veränderung der Farben, von der Dämmerung in den stark
bewölkten Tag hinein. Ansonsten war es still, so herrlich still: da
waren nur der Vulkan, und ich. Und genau diese Stille, diese
Einsamkeit, war das tollste Geschenk und die größte Besonderheit
dieses ersten Besuchs in Geldingadalir. Wie besonders das war, sollte
ich am Tag (und den Wochen) danach erst richtig begreifen...
Ich
kann mich kaum an den Weg zurück erinnern; ich war im absoluten Hoch
der Gefühle, als ich dann den kürzesten Weg zur Straße zurückging;
jenen Weg, der in den kommenden Tagen zum offiziellen Wanderweg nach
Geldingadalir werden würde. Ich begegnete den ersten Leuten, die ins
Gebiet gelassen worden waren; viele waren es noch nicht, aber als ich
dann die Teerstraße (den
Suðurstrandavegur)
entlangschlurfte, begegnete ich mehr und mehr Autos - die aber leider
alle in die falsche Richtung fuhren. Ich
war unendlich dankbar, als dann doch ein Fahrzeug nach
Grindavík unterwegs war: ein Kleinbus der Bergrettung.
„Kerstin!“ wurde
ich begrüßt, von einer Person, die ich nicht kannte. Das ist aber
in mehrerer Hinsicht nichts Ungewöhnliches: erstens kann ich mir die
Gesichter und Namen von Personen nur dann merken, wenn ich öfters
mit ihnen zu tun habe, und zweitens kennen mich in Island echt viele.
„Ist der Ausbruch noch im Gange? Kannst du uns Fotos zeigen?“
Also ließ ich meine Kamera durch den Superjeep wandern und berichtete
parallel vom Terrain und der einfachsten Route zum Vulkan. Die drei
Freiwilligen der Bergwacht hatten die Nacht damit verbracht, mit ihrem Auto
einen Weg abzusperren und dafür zu sorgen, dass niemand ins Gebiet
hineinfuhr - und sie brannten darauf, heute im Laufe des Tages privat
dorthin zu wandern, wo ich gerade gewesen war. In Grindavík setzten sie mich dann bei der spontan errichteten Einsatzzentrale des Katastrophenschutzes ab, wo ich dann noch einmal Infos über Wegbeschaffenheit und meine Einschätzung der (geringen) Gefahr dieses Vulkanausbruchs weitergab, solange man sich auf den Bergrücken aufhielt.
Und dann wanderte ich die letzten 200 Meter bis zu
meiner Wohnung, unendlich dankbar, dass mir die Autofahrt diese letzten 6 Kilometer eingespart hatte. Seit dem Aufwachen vor 30 Stunden hatte ich gut 40 Kilometer in den Knochen, und meine Füße
und Beine wollten keinen Schritt mehr tun... Obwohl es Mittag war, fiel ich wie ein Stein ins Bett: von orange-schwarzer Lava träumend, die sich langsam in ein kleines Tal ergoss...