Samstag, 22. August 2015

Hochsommer in der Arktis

Nie zuvor habe ich so weit im Norden einen so sommerlichen Sommer erlebt, wie in diesem Jahr. Kaum eine Wolke verdeckte die Sonne, die 24 Stunden lang vom hohen Himmel brannte und den Schnee ziemlich rasant verschwinden ließ. Das ermöglichte uns ziemlich bald lange Wanderungen, auf denen man die faszinierende Landschaft entdecken konnte. An sich ist Spitzbergen ziemlich karg: es gibt hier keine große Masse an Pflanzen. Die wenigen Spezialisten aber, die den langen, harten Winter überdauern können, blühen oft in erstaunlicher Farbenpracht. Was ich dieses Jahr erleben durfte, stellt alles zuvor Gesehene in den Schatten: eine Explosion von Farben, welche die eigentlich so karge Tundra in ein duftendes Blütenmeer verwandelte...

Über die Nachrichten erreichen uns ja allerhand Hiobsbotschaften, und davon nicht zu knapp: Kriege hier, Umweltkatastrophen da, aussterbende Tierarten, und so weiter und so fort. Wie schön ist es, dass es selbst in der sich momentan so stark verändernden Arktis auch mal schöne Nachrichten gibt: so zum Beispiel die Rückkehr der Blauwale. Die größten Tiere aller Zeiten wurden im 19ten und 20ten Jahrhundert durch den industriellen Walfang bis an den Rand der Ausrottung getrieben. Seit ein paar Jahren aber erleben sie ein Comeback, zumindest auf der nördlichen Hemisphäre. Mittlerweile sehen wir auf fast jeder Reise einen Blauwal - eine beeindruckende Begegnung! :-) 


Walrosse wurden seit der Entdeckung Spitzbergens ebenso stark und rücksichtslos gejagt, wie die Wale. Auch sie waren hier schon ausgerottet - und auch sie kommen momentan stark zurück! Diese herrlichen Tiere breiten sich Jahr für Jahr weiter aus, denn ihr Futter, die Sandklaffmuschel, wird sonst von keinem anderen Tier gefressen und ist im Überfluss vorhanden. Und weil die größten Robben der Arktis unter strengem Schutz stehen, sind sie kaum scheu. Im Gegenteil sie können sehr neugierig sein! Und sie bringen mich immer wieder zum Lachen. Es sind einfach nur drollige Viecher, diese Walrosse!


Der kurze Sommer ist natürlich auch die Hochsaison für Zugvögel. Es ist nicht das Land, das sie lockt, sondern das sehr produktive Meer an der Packeisgrenze. Die amselgroßen Krabbentaucher beispielsweise, die sonst echte Seevögel sind und viel besser tauchen können als fliegen, brüten in unzugänglichen Geröllhalden. Es sind neben Pinguinen und Papageitauchern die drolligsten Vögel, die ich kenne - einfach nur niedlich anzuschauen, die kleinen Kerlchen!
          
Brütende Krabbentaucher entwickeln einen Kropf, in dem sie winzige Ruderfußkrebse zu ihren Nestern bringen



                        
Da der Sommer so warm war, gab es dieses Jahr ziemlich viel Nebel: warme Luft und kaltes Eis vertragen sich einfach nicht. Bei richtig dichtem Nebel kann man wenig tun oder sehen, aber wenn die Sonne durchkommt, erlebt man faszinierende Nebelbögen. Es ist das gleiche Prinzip wie bei einem Regenbogen, nur sind die Tropfen, in denen sich das Licht bricht, viel feiner und der enstehende Ring aus Licht ist diffuser. Man sieht die Farben zwar nicht so gut, dafür aber kann man ein anderes Phänomen beobachten. Der eigene Schatten wird als sogenanntes Brockengespenst sichtbar, und um den Kopf herum bildet sich eine Glorie!

Genauso faszinierend wie der Nebel mit seinen optischen Phänomenen sind die Momente, an denen sich der Nebel lichtet. Dann entstehen beinahe mystische Anblicke, die jedes Fotografenherz höher schlagen lassen. Eines meiner liebsten Landschaftsbilder dieses Sommers ist deshalb ein Nebelfoto. Ganz besonders toll fand ich, dass sich sogar mein Copyright im klaren Wasser der Mushamna-Bucht gespiegelt hat! ;-)

Natürlich sah ich diesen Sommer auch Eisbären, wenn ich auch nicht verschweigen will, dass ich auch meine erste Schiffsreise ohne Eisbärensichtung erlebte. Aber oft haben wir Glück und treffen auf Tiere, die uns entweder gar nicht beachten oder gar neugierig sind und näher ans Schiff heran kommen. Das sind die Momente, die sich die meisten meiner Gäste inniglich herbeigeseht haben. Eisbären in freier Wildbahn erleben zu dürfen ist einfach ein riesengroßes Privileg und daher immer wieder eine atemberaubende Erfahrung!



Spitzbergen hat mich vermehrt zum Tierfotografen werden lassen - das ist ja nicht zu übersehen. Einerseits drängen sich die Tiere einem hier regelrecht auf, schließlich sind sie der Hauptgrund, weshalb die meisten Touristen hierher kommen. Andererseits ist Landschaftsfotografie einfach wenig reizvoll, wenn die Sonne vier Monate lang nicht einmal annähernd in Horizontnähe kommt. Dennoch schlägt mein Herz weiterhin für die großartigen Landschaften des Nordens. Ganz besonders habe ich mich daher diesen Sommer über zwei Lebewesen gefreut, die sich kaum fotogener hätten platzieren können. Da war einmal ein prächtige Rentierbulle vor der beeindruckenden Kulisse des Kongsbreen, und dann die in voller Blüte stehende "Nördliche Himmelsleiter" vor dem Berg Skansen.





Mittwoch, 5. August 2015

In der Eiderentenkolonie

Jedes Jahr im Frühsommer spielen sich in der Arktis Dramen ab, die von uns Menschen im Allgemeinen nicht gesehen werden. Dann nämlich brüten viele Vögel - und kämpfen um das Überleben ihrer Nachkommen. Feinde gibt es viele: das Wetter mit Wind und Kälte, Nahrungsmangel, und eine nicht zu knappe Anzahl von Raubtieren. Fressen und gefressen werden: wer in der Natur überleben möchte, muss sich anpassen, erfolgreich sein und Glück haben. Die Natur hat kein Gewissen. Dinge passieren so, wie sie passieren. So einfach ist das.

Diese einfache Tatsache wurde mir in den letzten beiden Jahren immer wieder vor Augen geführt, wenn ich in Longyearbyen zu den Hundezwingern außerhalb des Ortes wanderte. Hier nämlich, auf einer Wiese zwischen Straße, Hang und den ständig bellenden oder heulenden Hunden, befindet sich eine Eiderentenkolonie. Vor etwa 15 Jahren begriffen die ersten Vögel, dass sie genau hier Schutz vor Polarfüchsen fanden, die sich nicht an die Hunde herangetrauten. Ihre Brut war erfolgreich, die Nachkommen kehrten an denselben Ort zurück: und mittlerweile brüten hier 200 Vögel. Sie haben sich an die Straße und Menschen gewöhnt und sind extrem tolerant, solange man auf besagter Straße bleibt.





Diese Kolonie zieht mich immer wieder an, wenn ich denn in Longyearbyen bin. Es ist dort nie langweilig! Relativ früh im Jahr, wenn die Vögel noch balzen, sind sehr viele Eidererpel dort zu sehen, die in ihrem weiß-schwarz-grünen Prachtkleid sehr schön und auffällig sind. 

Es geschieht nicht so häufig, aber immer mal wieder mischen sich zu den normalen Eiderenten auch ein oder mehrere Prachteiderenten dazu. Es ist eine ganz andere Art, die hier oben viel seltener zu sehen ist, als die Eiderenten, und die außerdem scheuer ist und in viel kleineren Gruppen auftritt. Ich freue mich immer, wenn ich einen Prachteidererpel sehe - und dann, bei genauerem Hinschauen auch die Prachteiderentenweibchen erkennen kann, die rötlicheres Gefieder haben, als die "normalen", unscheinbaren Eiderentendamen... 


Eine Eiderentenkolonie zu besuchen, wenn die Erpel noch da sind, ist ein Erlebnis für die Ohren! Die stolzen Vögel stoßen lustige Gurr-Laute aus, die mich immer sehr fröhlich stimmen. Sie sind, wenn sie im Frühjahr an der Kolonie ankommen, längst verpaart, und die Weibchen machen sich dann sofort an den Nestbau. Sie scharren eine Mulde oder nutzen eine Delle im Boden, den sie dann mit ihren Federn auspolstern. Die Weibchen rupfen sich ihr gesamtes Brust-Daunengefieder aus, was eine ganze Menge ist, um dann darin die grünlichen Eier zu legen. Das sind die berühmten Eiderdaunen: eine der wärmsten Daunen im Tierreich!

Die Brut wird allein vom Weibchen übernommen, welches das Nest nur zum gelegentlichen Trinken verlässt und einen ganzen Monat lang fastet. Das Männchen bleibt bei ihr, um sie zu beschützen und verliert folglich auch an Gewicht. Erst wenn die Brut weit fortgeschritten ist, wird er sie verlassen. Einerseits, weil sein auffälliges Federkleid die Aufmerksamkeit auf Weibchen und die baldigen Küken ziehen würde, und andererseits, weil er jetzt bald in die Mauser kommt. Wenn man große Gruppen von männlichen Eiderenten an den Küsten entlangpaddeln sieht, ist es Zeit für den Schlupf der Küken!

Die kleinen Piepmatze, im Schnitt 4-6 pro Ente, schlüpfen im Abstand von mehreren Stunden und piepsen ohne Unterlass. Auch das ist ein herrlicher Laut: sitzt man an der Kolonie, kann man schon von weitem hören, welche Ente Küken unter ihren Federn verbirgt. Wenn die kleinen Federknäuel dann endlich alle geschlüpft sind, verlassen die Mütter die Kolonie und bringen sie zum Wasser. Hier haben sich gleich zwei Weibchen zusammengetan - die unauflässig schnatternd ihre Kleinen den (für die Küken) langen Weg zur Meeresküste locken.



Mit diesen Bildern endet der harmonische Teil des Blogs. Ich habe diesen Bericht nicht ohne Grund mit dem Wort "Drama" begonnen...

Wo 200 Eiderenten brüten, da sind natürlich auch diejenigen, die auf ein schnelles Essen hoffen. Die Zeiten sind längst vorbei, als sich die Fressfeinde der Enten von Menschen und Hunden einschüchtern ließen: genau wie die Enten, so haben sich auch alle anderen Tiere der Umgebung mittlerweile an den ständigen Krach der Ziviliation gewöhnt. So zum Beispiel auch die riesigen Eismöwen, die ständig von den aggressiven Küstenseeschwalben belästigt werden, wenn sie in deren Brutrevier eindringen.


Mit einer Körperlänge von 70 Zentimetern und einer Flügelspannweite von 160 cm sind Eismöwen beachtliche Tiere! Zum Verdruss der Enten (und sämtlicher anderer, kleinerer Vögel) haben die Eismöwen hier auf Spitzbergen die Rolle der Greifvögel übernommen: sie jagen also aktiv und warten auf jeden günstigen Moment, um ein Nest zu überfallen oder Vögel zum Absturz zu bringen. Sie haben zwar keine Greif-Klauen, sondern ganz normale Möwenfüße, sind aber unerschrocken - und können sich mal eben schnell ein Ei schnappen und damit wegfliegen, wenn die Eiderente kurz zum Trinken vom Nest gegangen ist...



Der größte Störenfried in der Kolonie war aber der Polarfuchs, bzw. ein Polarfuchspaar, das unweit entfernt seine Jungen großzieht. Immer in Eile sind sie, scheu, aber sie wissen genau, dass die Enten eine leichte Nahrungsquelle sind. Auf die erwachsenen Vögel haben es die Füchse nicht abgesehen, zu sehr fürchten sie sich vor den Schnäbeln der Enten, aber Eier und Junge sind eine leichte Beute. Und so laufen sie, immer flott unterwegs, ohne Zögern in die Kolonie hinein - und müssen dabei auch immer durch brütende Küstenseeschwalben hindurch. Die angriffslustigen Vögelchen attackieren einen Fuchs aus weiter Ferne - und der macht dann Tempo, senkt den Kopf und rennt mit geschlossenen Augen weiter. Was sollte er auch sonst tun...?





An der Kolonie angekommen, wird kurzer Prozess gemacht. Der Fuchs sucht sich das erstbeste Nest, die umliegenden Eiderenten fliehen panisch ein paar Meter, sammeln sich dann ärgerlich schnatternd und umringen den Fuchs in gebührendem Abstand. Sie können aber nicht verhindern, dass er sich ein Ei schnappt und ohne zu zögern davonläuft. Fast Food schon eingepackt zum Mitnehmen - besseres Futter für die Welpen oder das Vorratslager gibt es kaum!






















Es mag erstaunlich klingen, aber ich kenne keine vorsichtigeren Tiere, als Polarfüchse. Einerseits sind sie es, welche die Kolonie "attackieren". Andererseits sind sie auch diejenigen, welchen man ihre Vorsicht am stärksten ansieht. Ständig sind sie schnell unterwegs, als könnten sie sich Müßigkeit nicht leisten, ständig sind sie auf der Hut. Jedes Geräusch, jede Bewegung lässt sie herumfahren, und sie haben einen Heidenrespekt vor Vogelschnäbeln. Das erklärt sich meiner Meinung nach dadurch, dass sie sich keine Verletzungen erlauben können: ein verletzter Räuber ist ein toter Räuber! Und so laufen sie mit ihrer Beute erst einmal ein paar Meter aus der Kolonie heraus und lassen ihre Blicke über die Umgebung schweifen, bevor sie mit dem Fressen beginnen. Und auch hier wird sich beeilt: es könnte ja jederzeit jemand kommen, der einem das wertvolle Futter streitig macht!









Wenn ab Mitte Mai die Küken schlüpfen, beginnt das große Schlachten. Die Enten wissen schon, warum sie ihre Küken so bald wie möglich zum Wasser bringen wollen. Der Fuchs muss nur einmal kommen, und alle Küken sind tot. Bei den Eiern war er noch wählerisch, griff sich immer nur eins, mal hier aus dem Nest, mal da - wenn aber die Küken piepsend herumlaufen, wird sein Jagdtrieb geweckt. Dann wird er nicht stoppen, bevor auch das letzte Küken still und leblos ist. Jeder Fuchsbesuch kann also in einem Massaker enden - zumindest aus der Sicht der Enten. Für den Fuchs ist es eine reiche Ernte!

Schaut euch diesen Gesichtsausdruck an! Dieser totale Fokus auf das kleine Küken, wahrscheinlich nicht einmal 24 Stunden alt, das instinktiv sein Heil in der Flucht sucht. Fünf Sekunden nach diesem Foto starb das kleine Wesen. Der Fuchs war relativ gnädig, er spielte nicht, sondern biss dem Küken ratzfatz den Kopf ab. Was nicht mehr zappelt, kann nicht verloren gehen, so einfach ist das. Schließlich warten im Bau 3-5 immerhungrige Welpen darauf, satt zu werden.

Manche Eiderenten-Bruten werden durch den Fuchs und die Eismöwen komplett vernichtet. Gerade die Küken, welche in der Kolonie als erstes und als letztes schlüpfen, haben schlechte Chancen. Dennoch watscheln immer wieder Mütter mit allen Jungen über die Straße zum Meer hinunter, begleitet von 1-3 weiteren Weibchen, welche ebenfalls ein waches Auge auf die Kleinen werfen.

Zudem muss man sich eine Tatsache immer wieder vor Augen halten. Um einen Tierbestand stabil zu halten, muss jedes Elterpaar in seinem Leben nur zwei Junge zum Erwachsenenalter durchbringen: sozusagen die beiden Tiere, welche sie ersetzen, wenn sie sterben.
Bei Tieren, wie Eiderenten, welche 15 Jahre alt werden und ab ihrem dritten Lebensjahr jedes Jahr 3-6 Eier legen, also im Schnitt 54 Eier im Leben, da kann man also schon sehen, welchen "Ausschuss" die Natur von Anfang an mit einrechnet.

























Das waren sie, ein paar Bilder von der Eiderentenkolonie und den Ereignissen dort. Jetzt, Mitte August, ist die Kolonie längst verwaist und sind alle Eiderenten wieder auf dem Meer. Die Männchen wechseln nun ins schlichte Winterkleid und die überlebenden Küken sind nun fast selbstständig und stehen vor der nächsten großen Aufgabe: den kommendne Winter zu überstehen. Natur mag hart sein und teilweise wirklich wenig freundlich. Aber eines ist sie allemal: unendlich faszinierend und unglaublich spannend!