Sonntag, 20. Dezember 2015

Arktis oder Antarktis?

Ich werde öfters gefragt, welches ich für das schönere Reiseziel halte: Arktis oder Antarktis. Und meistens sind die Leute dann über meine Antwort erstaunt: ich kann nämlich keine geben. Es dürfte kaum zwei andere Orte auf der Welt geben, die so viel gemeinsam haben und doch so dermaßen gegensätzlich sind, wie die beiden Polregionen. Und die mich auf ihre jeweils eigene, ganz spezielle Art gleichermaßen begeistern.







Wenn man sich die Landkarte einmal anschaut (ohne Wolken und Packeis), sieht man schon den wesentlichen Unterschied. Die Antarktis ist ein Kontinent umgeben von Meer, die Arktis ist ein Meer umgeben von Kontinenten. Ein Kontinent wird kälter als ein Meer, viel kälter, und auch deswegen ist die Antarktis fast ausschließlich von Eis bedeckt, das bis zu 4500 (!!!) Meter dick ist. In der Arktis dagegen schmelzen warme Meeresströme das Meereis jedes Jahr aufs neue, und Gletscher bilden sich nur dort, wo es Berge gibt. So ist zu erklären, dass 90% des Weltgletschereises in der Antarktis zu finden sind, 9% in Grönland - und das restliche Prozent Gletschereis verteilt sich auf die alpinen und arktischen Gebiete der Welt. Diese Dimensionen kann man sich gar nicht vorstellen!

Dämmerungsstimmung im Errera Channel, mit Blick auf Cuverville Island, Antarktis



             
Für uns Menschen bedeutet diese Eisverteilung, dass wir uns in der Antarktis kaum an Land bewegen können: etwas übertrieben ausgedrückt ist es ein riesiger Gletscher, aus dem hier und da ein paar Bergspitzen schauen. Die Arktis ist das Gegenteil davon. Das Land rund um das Nordpolarmeer ist zwar von einigen Gletschern bedeckt, aber diese sind winzig im Vergleich zur Antarktis. Man kann in der Arktis also ausgiebige Wanderungen unternehmen und viel mehr Orte besuchen, als in der Antarktis. Und das ist ein Grund, warum ich die Arktis so mag: für Aktivitäten bietet der Norden die vielfältigere Wahl.
 
Faksevågen, Lomfjord, Svalbard










                 
Die Antarktis ist der in jeder Hinsicht extremere Ort. Es beginnt mit dem Wetter. Mindestens ein Tag pro Reise fällt aus, manchmal sogar bis zu drei Tage, weil extreme Winde uns Hausarrest erteilen: in diesen katabatischen Winden und den entstehenden, hohen Wellen, kann man keine sichere Landung mehr durchführen. Die Gefahr ist einfach zu groß, dass das Zodiak von einer plötzlichen, extremen Sturmböe umgeschmissen wird oder sich Guides und Gäste verletzen, weil das Boot von den Elementen umhergestoßen wird.

Sturm in Bransfield Strait, Antarktis



            
Ist man dann aber an Land und erlebt man einen windstillen Tag, ist die Antarktis der beeindruckendere Ort. Was für Eismassen, was für Berge! Es gibt keinerlei Spuren menschlicher Zivilisation: nicht einmal unser Müll hat es hierher geschafft, der in der Arktis ja mittlerweile leider allgegenwärtig geworden ist.

Angeschwemmter Müll am Strand - ein gängiger Anblick auch auf den Lofoten

Eselspinguine bei George's Point, Ronge Island

Die Tiere der Antarktis sind kaum scheu, vor allem deshalb, weil es an Land keine Raubtiere gibt. Für die Pinguine und Robben kommt die Gefahr entweder aus dem Wasser (See-Leoparden und Orcas) oder aus der Luft (Skuas oder Riesensturmvögel). Dementsprechend wenig Furcht zeigen sie uns Menschen gegenüber.

Eselspinguinküken, Jougla Point, Antarktis



                                                      
In der Arktis ist es genau umgedreht: dort kommt die Gefahr von Land (Eisbären und Polarfüchse), weshalb die meisten Tiere genau dort ziemlich scheu sind. Dafür gibt es in der Arktis aber viel mehr verschiedene große Tiere zu betrachten: Eisbären, Walrosse und vier weitere Robbenarten, verschiedenste Wale (u.a. Blauwale, die in der Antarktis fast ausgerottet wurden und sich bisher nicht erholten), viele verschiedene Vögel und natürlich Rentiere und Polarfüchse. Die Bandbreite an spannenden Lebewesen ist dort also größer.

Wasser trennte Eisbär von Walrossen - ansonsten hätte dieses jungrige Männchen die Herde längst ins Wasser gescheucht



                                    
Ein weiterer Unterschied ist die Tatsache, dass wir in der Arktis keinerlei Ahnung haben, wo wir Tierleben antreffen werden. In der Antarktis brüten die Pinguine in immer denselben Kolonien: wir wissen also ganz genau, wohin wir reisen müssen, um verschiedene Pinguinarten zu finden. In der Arktis gilt das genaue Gegenteil: keines der Tiere ist stationär. Wir können nicht einmal den Höhepunkt einer Arktisreise garantieren, also die Sichtung von Eisbären. Es kann theoretisch sein, dass eine Reise in einem Desaster endet: weil keine Eisbären gesichtet wurden. Passiert ist mir das bisher zum Glück nur einmal: aber das war dementsprechend heftig. Man sollte glauben, dass die Leute wissen, dass man wilde Tiere nicht auf dem Servierteller präsentieren kann - und dass man eine Reise dennoch für toll halten kann, wenn man drei verschiedene Walarten (unter anderem Blauwale), alle Robben (also auch Walrosse), viele Vögel, Füchse und Rentiere sichtet. Aber nein, es gab beinahe eine Meuterei: weil der Eisbär fehlte. Ich hätte beinahe gesagt: "Da habt ihr euren Blick in die Zukunft!" Aber das tröstet oder beruhigt die Gäste natürlich nicht. Für sie war die Reise ein Debakel - obwohl das Wetter, Lichtstimmungen, Ausflüge und Tierbegegnungen fantasisch gewesen waren.
Menschen - ich werde sie nie verstehen ...


Arktische Küstenseeschwalbe füttert ihr fast flügges Jungtier, Nordaustlandet, Svalbard



                                        
Mein Herz schlägt für beide Polregionen: für die Arktis, weil ich mich in ihr immer mehr Zuhause fühle, und auch für die Antarktis, weil sie für mich immer noch ein riesiges Abenteuer ist und ich noch sehr viel zu lernen und entdecken habe. Genau deswegen bin ich jetzt gerade auch wieder im Südpolarmeer unterwegs: noch bis Mitte Januar werde ich die Antarktische Halbinsel und den Bereich des Weddellmeeres erkunden, als Guide, Fotograf und generelles Mädel für alles.

Mit im Gepäck ist nämlich ein neues Spielzeug: ein Unterwassergehäuse für meine Kamera. Tauchen liegt leider nicht im Rahmen meiner Möglichkeiten - sehr wohl aber kann ich die obersten 30 Zentimeter der Wassersäule unsicher machen. Dabei kommen die tollsten Dinge zutage: die ersten Fotos begeistern mich total. Unter Wasser liegt eine ganz andere Welt verborgen - und eröffnen sich ganz neue Blickwinkel. Hier ein paar erste Bilder: weitere folgen dann im Januar.


Eine neugierige Weddellrobbe
Nniemals hätte ich gedacht, dass ich einem wilden Meeressäuger in seinem Element einmal so nahe kommen würde.
Die ganze Geschichte erzähle ich beim nächsten Mal! :-)

                                                       
Mit diesen Eindrücken möchte ich euch ein frohes Weihnachtsfest wünschen: und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Liebe Grüße aus dem tiefen Süden,
Kerstin

Donnerstag, 12. November 2015

Ein dünner Eisbär schockiert die Welt

Der vergangene Sommer in Spitzbergen war in jeglicher Hinsicht außergewöhnlich. Außergewöhnlich warm, außergewöhnlich sonnig und auch außergewöhnlich neblig. Klar, wenn warme Luft auf Eis trifft, gibt’s Nebel... Denn obwohl es so warm war, gab es Treibeis in großen Mengen - und das hat uns alle verwirrt. Laut Wissenschaftlern hatte sich im Winter nicht viel Eis gebildet, und arktisweit wurde es dann auch das Jahr mit der viert-geringsten Meereisausdehnung, die je gemessen wurde. Um Spitzbergen herum aber gab es Treibeis - und das nicht zu knapp! Es driftete von Norden und Osten zum Archipel hinüber und machte die ersten Spitzbergen-Umrundungen unmöglich.

Eis und Wärme - das ergibt oft Luftspiegelungen. Eine so verrückte Fata Morgana sieht man aber doch eher selten!



                                         
Obwohl wir im Norden und Osten Spitzbergens auf viel Treibeis trafen, war die Situation nicht rosig: dieses Eis war (aus welchem Grund auch immer) unbelebt. Robben waren Mangelware, und Bären deshalb auch. Auf manchen Reisen fuhren wir anderthalb Tage am Eis vorbei, ohne einen einzigen Bären zu sehen, und ich erlebte sogar meine erste Reise komplett ohne Eisbärensichtung - eine herbe Enttäuschung für alle Gäste.


Die anderen Touren dagegen waren geprägt von erstaunlichen Eisbärenbegegnungen. Ich durfte erleben, wie fremde Bären einander begegneten und miteinander agierten. Ich traf die neugierigsten Bären aller Zeiten und auch die scheuesten: Tiere, die schon aus weiter Ferne reißaus nahmen, die uns Menschen bzw. unser Schiff in keiner Weise mochten oder tolerierten. Ich sah, wie ein (dünner) Eisbär in steinigem Gelände ein Rentier jagte, allerdings wie erwartet erfolglos, da das Rentier viel ausdauernder laufen konnte, als der Bär. Dieser nämlich gab seine Jagd nach etwa 800 Metern auf und kollabierte dann regelrecht, weil er sich zu sehr angestrengt hatte. Eisbären sind durch ihre Fettschicht und Fell so dermaßen gut gegen Kälte isoliert, dass ihnen schnell zu warm wird: sie überhitzen.




Und dann, am 29. Juli, traf ich den dünnsten Bären, den ich je (lebendig) gesehen hatte. An einem nebligen Tag lag er plötzlich auf einer einsamen Eisscholle, weit und breit sonst nur offenes Wasser. Er bemerkte uns sofort und zeigte unmittelbar an, dass er unsere Anwesenheit nicht mochte: mit nervösen Blicken zu uns erhob er sich und machte dadurch allen klar, wie unglaublich dünn er war. Unser Kapitän und Expeditionsleiterin trafen die einzig richtige Entscheidung: nämlich, das arme Tier in Ruhe zu lassen. Und so drehten wir ab, obwohl wir noch weit entfernt waren, und sahen, wie er (bzw. sie) sich wieder hinlegte und uns nachschaute.

Diese Begegnung ging allen unter die Haut, denn es war augenscheinlich, dass dieses Tier nicht mehr lange zu leben hatte. Es war hart, einfach davon zu fahren, ohne ihm in irgendeiner Weise helfen zu können. Ihn zu füttern kam nicht in Frage, womit denn auch? Ihn aus seinem Leiden zu erlösen, indem wir ihn erschossen, stand auch nicht zur Diskussion. Es wäre zwar meiner Meinung nach ethisch gut vertretbar gewesen, aber erstens nicht umsetzbar bei einem so scheuen Tier und einem Schiff voller Touristen. Zweitens war das auch stengstens verboten: das Erschießen eines Eisbären, egal aus welchem Grund, ist strafbar und hätte eine Untersuchung des Gouverneurs von Svalbard nach sich gezogen, und außerdem den vermutlichen Abbruch der Reise. Das nur so als kleine Nebeninformation...

Als der magere Eisbär wieder im Nebel verschwand, ging bei uns an Bord nun die Diskussion los: warum war dieses Tier so abgemagert? Wir hatten eine Wunde am linken Vorderbein gesehen - aber war die schlimm genug, um ihn umzubringen? Oder war sein Zustand einer Verkettung von Umständen zu verschulden? Es war zwar den Winter über genügend Eis in dieser Gegend gewesen, aber wer weiß, wo das Tier hergekommen war? Sollte es sich im Südwesten Spitzbergens aufgehalten haben, wo es diesen Winter so gut wie kein Eis gab? In dem Falle könnte es extrem abgemagert über die Berge gekommen sein, zu schwach, um noch zu jagen. Zumal weit und breit kein Futter gewesen war: keine Robben, keine Walrosse - nichts.
Oder war es vielleicht auch ein junges Tier, also noch kein guter Jäger? Das halte ich für wahrscheinlicher als die Vermutung, dass es krank oder alt gewesen war. Dieses Tier sah nicht aus, wie ein alter Bär: es hatte dichtes, sauberes Fell, war klein, hatte keines der typischen ausgeprägten Geschlechtsmerkmale alter Tiere (langes Fell an den Vorderbeinen, viele Narben im Kopf und Nackenbereich oder deutlich sichtbare Zitzen). Nein, dieser Bär war jung bis mittelalt, vermutlich ein Weibchen, und sein Zustand keine Alterserscheinung.


Auf Facebook, dieser riesigen Plattform für einsame Seelen und gelangweilte Selbstdarsteller, veröffentliche ich etwa ein bis drei Fotos pro Monat: meist schöne Landschaftsbilder oder putzige Tierchen, eben was man so erwartet. Nach dieser Begegnung aber wollte ich diesen Bären zeigen und klar machen, dass auch dies eine Seite der Arktis ist. Für mich persönlich steht fest, dass dieser Bär vermutlich hauptsächlich wegen des Klimawandels so dünn war: beweisen kann ich es nicht, aber es entspricht genau dem, was Wissenschaftler schon lange prognostizieren. Weniger Eis bedeutet weniger Nahrung für die Bären und längere Perioden an Land - und somit in beiden Fällen längere Hungerperioden.

Dünne Eisbärin mit (für die Jahreszeit) viel zu kleinem Jungtier, fernab jeglicher Nahrung. Das Kleine wird den Sommer mit größter Wahrscheinlichkeit nicht überlebt haben, und auch der Verbleib der Mutter ist fraglich.

 
Auch wenn dieser Sommer im Norden und Osten von Spitzbergen von Packeis geprägt war, so sah ich dieses Jahr viele dünne Tiere - mehr, als in den Jahren zuvor. Das ist konträr zu den Beobachtungen anderer Guides, Fotografen und Wissenschaftlern, aber ich war eben nicht nur auf Eisbärensuche, sondern auch an Land unterwegs. Ich sah viele Mütter mit Jungtieren, zumindest das war super, aber einige davon sehr abgemagert. Ich sah mehrere Bären, die alles fraßen, was sie fanden: darunter Vogeleier, Moos und Seetang. Letzteres ist ein reiner Magenfüller ohne Energiegehalt: die Bären fressen einfach gegen den Hunger an, um zumindest irgendwas im Magen zu haben.

Eine weitere Mutter war stark verletzt: ich kann mir diese furchtbare Wunde nur dadurch erklären, dass sie von einem anderen Bären von hinten angegriffen worden sein muss. Dass sie untereinander so aggressiv sind, dass sie sich gegenseitig skalpieren, war mir bisher nicht klar. Ein trauriger Anblick.

Mit all diesem Hintergrundwissen stellte ich also das Bild des verhungernden Bären auf Facebook, begleitet mit einem ermahnenden und doch motivierenden Text für Klima-Aktionismus. Ich hatte gehofft, dass das Bild Menschen erreicht - aber hätte mir nie ausgemalt, dass es sich wie ein Lauffeuer verbreiten würde. Innerhalb eines Monats wurde es 50.000 mal geteilt, erhielt über 5000 Kommentare und wurde 7 Millionen mal gesehen. Ich erhielt die unterschiedlichsten Emails und Kontaktanfragen. Ganz naive und richtig dumme Vorwürfe waren darunter: warum ich so böse sei und „nur“ das Foto gemacht habe, ohne dem armen Bären zu helfen. Warum ich ihn nicht gefüttert hätte. Was für eine Lügnerin ich doch sei: das Foto sei, ganz klar und offensichtlich, manipuliert, denn ein Bär könne so gar nicht aussehen. Was ich mich erdreisten würde, das Bild mit Klimawandel in Verbindung zu bringen, ich könne doch gar nichts beweisen. Logisch: als wenn man nur Fotos machen und Gedanken aussprechen dürfte, die man zu 100% „beweisen“ kann...

https://www.facebook.com/kerstin.langenberger.photography/photos/a.463697036975575.115901.429056113773001/1045109095501030/?type=3

Viel zahlreicher als die (schnell gelöschten) Hassmails waren die positiven Rückmeldungen. Dieses Foto hat, zu meinem großen Erstaunen, viele Menschen zumindest für einen Moment lang nachdenklich werden lassen. Ich habe Emails bekommen von Leuten, für die das Bild ein Motivator war, um Dinge zu verändern. Viele nutzten das Bild in ihren Blogs, um über Klimawandel zu schreiben. Mehrere Schulbücher, Zeitungen und Magazine kauften das Foto, mehrere Magazine, Radiosender und auch Fernsehsender interviewten mich zum Thema Klimawandel und wie man Zuhause im Klimaschutz aktiv werden kann. Ob Brasilien, Deutschland oder USA, Japan, Spanien oder Singapur, Südafrika oder Grönland - das Bild ging um die Welt! Eine Rentnerin nutzte das Foto, um gegen die Wahlmüdigkeit in Kanada anzugehen (die Parlamentswahlen standen unmittelbar bevor), und eine Künstlerin nutzte es, um gegen die wenig klimafreundlichen Öl-Pläne der kanadischen Regierung zu protestieren. Das Foto wird beim Klimagipfel in Paris an mehreren Orten zu sehen sein, es wurde und wird von Umwelt- und Klimaschutzorganisationen verwendet, und auch der ehemalige US-Vizepräsident und Klimaaktivist Al Gore nutzt das Bild nun, um auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen.

Irgendwie ist es absurd, dass ein fotografisch wenig glorreiches, verpixeltes Dokufoto so viele Leute erreicht. Der (Landschafts-)Fotograf in mir ist nicht begeistert darüber, dass ich ausgerechnet mit diesem Bild kurzzeitigen Ruhm erlangte - der Umweltschützer in mir aber freut sich ungemein darüber! Es ist mein erstes Foto überhaupt, das ein solch großes Publikum erreichte und eine Diskussion zum Thema Umwelt- bzw. Klimaschutz in Gang setzte. Gibt es eine größere Bestätigung, als das? Und so fühle ich mich umso motivierter, meinen Weg fortzusetzen: als naturliebhabender Fotograf, Lektor, Umweltaktivist und generell andersdenkender Einzelgänger. Mehr denn je zuvor glaube ich daran, dass jeder dazu beitragen kann, die Welt ein Stückchen besser zu machen: man muss nur daran glauben und darf nicht aufhören, mit seinen individuellen Möglichkeiten daran zu arbeiten! :-)

Samstag, 22. August 2015

Hochsommer in der Arktis

Nie zuvor habe ich so weit im Norden einen so sommerlichen Sommer erlebt, wie in diesem Jahr. Kaum eine Wolke verdeckte die Sonne, die 24 Stunden lang vom hohen Himmel brannte und den Schnee ziemlich rasant verschwinden ließ. Das ermöglichte uns ziemlich bald lange Wanderungen, auf denen man die faszinierende Landschaft entdecken konnte. An sich ist Spitzbergen ziemlich karg: es gibt hier keine große Masse an Pflanzen. Die wenigen Spezialisten aber, die den langen, harten Winter überdauern können, blühen oft in erstaunlicher Farbenpracht. Was ich dieses Jahr erleben durfte, stellt alles zuvor Gesehene in den Schatten: eine Explosion von Farben, welche die eigentlich so karge Tundra in ein duftendes Blütenmeer verwandelte...

Über die Nachrichten erreichen uns ja allerhand Hiobsbotschaften, und davon nicht zu knapp: Kriege hier, Umweltkatastrophen da, aussterbende Tierarten, und so weiter und so fort. Wie schön ist es, dass es selbst in der sich momentan so stark verändernden Arktis auch mal schöne Nachrichten gibt: so zum Beispiel die Rückkehr der Blauwale. Die größten Tiere aller Zeiten wurden im 19ten und 20ten Jahrhundert durch den industriellen Walfang bis an den Rand der Ausrottung getrieben. Seit ein paar Jahren aber erleben sie ein Comeback, zumindest auf der nördlichen Hemisphäre. Mittlerweile sehen wir auf fast jeder Reise einen Blauwal - eine beeindruckende Begegnung! :-) 


Walrosse wurden seit der Entdeckung Spitzbergens ebenso stark und rücksichtslos gejagt, wie die Wale. Auch sie waren hier schon ausgerottet - und auch sie kommen momentan stark zurück! Diese herrlichen Tiere breiten sich Jahr für Jahr weiter aus, denn ihr Futter, die Sandklaffmuschel, wird sonst von keinem anderen Tier gefressen und ist im Überfluss vorhanden. Und weil die größten Robben der Arktis unter strengem Schutz stehen, sind sie kaum scheu. Im Gegenteil sie können sehr neugierig sein! Und sie bringen mich immer wieder zum Lachen. Es sind einfach nur drollige Viecher, diese Walrosse!


Der kurze Sommer ist natürlich auch die Hochsaison für Zugvögel. Es ist nicht das Land, das sie lockt, sondern das sehr produktive Meer an der Packeisgrenze. Die amselgroßen Krabbentaucher beispielsweise, die sonst echte Seevögel sind und viel besser tauchen können als fliegen, brüten in unzugänglichen Geröllhalden. Es sind neben Pinguinen und Papageitauchern die drolligsten Vögel, die ich kenne - einfach nur niedlich anzuschauen, die kleinen Kerlchen!
          
Brütende Krabbentaucher entwickeln einen Kropf, in dem sie winzige Ruderfußkrebse zu ihren Nestern bringen



                        
Da der Sommer so warm war, gab es dieses Jahr ziemlich viel Nebel: warme Luft und kaltes Eis vertragen sich einfach nicht. Bei richtig dichtem Nebel kann man wenig tun oder sehen, aber wenn die Sonne durchkommt, erlebt man faszinierende Nebelbögen. Es ist das gleiche Prinzip wie bei einem Regenbogen, nur sind die Tropfen, in denen sich das Licht bricht, viel feiner und der enstehende Ring aus Licht ist diffuser. Man sieht die Farben zwar nicht so gut, dafür aber kann man ein anderes Phänomen beobachten. Der eigene Schatten wird als sogenanntes Brockengespenst sichtbar, und um den Kopf herum bildet sich eine Glorie!

Genauso faszinierend wie der Nebel mit seinen optischen Phänomenen sind die Momente, an denen sich der Nebel lichtet. Dann entstehen beinahe mystische Anblicke, die jedes Fotografenherz höher schlagen lassen. Eines meiner liebsten Landschaftsbilder dieses Sommers ist deshalb ein Nebelfoto. Ganz besonders toll fand ich, dass sich sogar mein Copyright im klaren Wasser der Mushamna-Bucht gespiegelt hat! ;-)

Natürlich sah ich diesen Sommer auch Eisbären, wenn ich auch nicht verschweigen will, dass ich auch meine erste Schiffsreise ohne Eisbärensichtung erlebte. Aber oft haben wir Glück und treffen auf Tiere, die uns entweder gar nicht beachten oder gar neugierig sind und näher ans Schiff heran kommen. Das sind die Momente, die sich die meisten meiner Gäste inniglich herbeigeseht haben. Eisbären in freier Wildbahn erleben zu dürfen ist einfach ein riesengroßes Privileg und daher immer wieder eine atemberaubende Erfahrung!



Spitzbergen hat mich vermehrt zum Tierfotografen werden lassen - das ist ja nicht zu übersehen. Einerseits drängen sich die Tiere einem hier regelrecht auf, schließlich sind sie der Hauptgrund, weshalb die meisten Touristen hierher kommen. Andererseits ist Landschaftsfotografie einfach wenig reizvoll, wenn die Sonne vier Monate lang nicht einmal annähernd in Horizontnähe kommt. Dennoch schlägt mein Herz weiterhin für die großartigen Landschaften des Nordens. Ganz besonders habe ich mich daher diesen Sommer über zwei Lebewesen gefreut, die sich kaum fotogener hätten platzieren können. Da war einmal ein prächtige Rentierbulle vor der beeindruckenden Kulisse des Kongsbreen, und dann die in voller Blüte stehende "Nördliche Himmelsleiter" vor dem Berg Skansen.





Mittwoch, 5. August 2015

In der Eiderentenkolonie

Jedes Jahr im Frühsommer spielen sich in der Arktis Dramen ab, die von uns Menschen im Allgemeinen nicht gesehen werden. Dann nämlich brüten viele Vögel - und kämpfen um das Überleben ihrer Nachkommen. Feinde gibt es viele: das Wetter mit Wind und Kälte, Nahrungsmangel, und eine nicht zu knappe Anzahl von Raubtieren. Fressen und gefressen werden: wer in der Natur überleben möchte, muss sich anpassen, erfolgreich sein und Glück haben. Die Natur hat kein Gewissen. Dinge passieren so, wie sie passieren. So einfach ist das.

Diese einfache Tatsache wurde mir in den letzten beiden Jahren immer wieder vor Augen geführt, wenn ich in Longyearbyen zu den Hundezwingern außerhalb des Ortes wanderte. Hier nämlich, auf einer Wiese zwischen Straße, Hang und den ständig bellenden oder heulenden Hunden, befindet sich eine Eiderentenkolonie. Vor etwa 15 Jahren begriffen die ersten Vögel, dass sie genau hier Schutz vor Polarfüchsen fanden, die sich nicht an die Hunde herangetrauten. Ihre Brut war erfolgreich, die Nachkommen kehrten an denselben Ort zurück: und mittlerweile brüten hier 200 Vögel. Sie haben sich an die Straße und Menschen gewöhnt und sind extrem tolerant, solange man auf besagter Straße bleibt.





Diese Kolonie zieht mich immer wieder an, wenn ich denn in Longyearbyen bin. Es ist dort nie langweilig! Relativ früh im Jahr, wenn die Vögel noch balzen, sind sehr viele Eidererpel dort zu sehen, die in ihrem weiß-schwarz-grünen Prachtkleid sehr schön und auffällig sind. 

Es geschieht nicht so häufig, aber immer mal wieder mischen sich zu den normalen Eiderenten auch ein oder mehrere Prachteiderenten dazu. Es ist eine ganz andere Art, die hier oben viel seltener zu sehen ist, als die Eiderenten, und die außerdem scheuer ist und in viel kleineren Gruppen auftritt. Ich freue mich immer, wenn ich einen Prachteidererpel sehe - und dann, bei genauerem Hinschauen auch die Prachteiderentenweibchen erkennen kann, die rötlicheres Gefieder haben, als die "normalen", unscheinbaren Eiderentendamen... 


Eine Eiderentenkolonie zu besuchen, wenn die Erpel noch da sind, ist ein Erlebnis für die Ohren! Die stolzen Vögel stoßen lustige Gurr-Laute aus, die mich immer sehr fröhlich stimmen. Sie sind, wenn sie im Frühjahr an der Kolonie ankommen, längst verpaart, und die Weibchen machen sich dann sofort an den Nestbau. Sie scharren eine Mulde oder nutzen eine Delle im Boden, den sie dann mit ihren Federn auspolstern. Die Weibchen rupfen sich ihr gesamtes Brust-Daunengefieder aus, was eine ganze Menge ist, um dann darin die grünlichen Eier zu legen. Das sind die berühmten Eiderdaunen: eine der wärmsten Daunen im Tierreich!

Die Brut wird allein vom Weibchen übernommen, welches das Nest nur zum gelegentlichen Trinken verlässt und einen ganzen Monat lang fastet. Das Männchen bleibt bei ihr, um sie zu beschützen und verliert folglich auch an Gewicht. Erst wenn die Brut weit fortgeschritten ist, wird er sie verlassen. Einerseits, weil sein auffälliges Federkleid die Aufmerksamkeit auf Weibchen und die baldigen Küken ziehen würde, und andererseits, weil er jetzt bald in die Mauser kommt. Wenn man große Gruppen von männlichen Eiderenten an den Küsten entlangpaddeln sieht, ist es Zeit für den Schlupf der Küken!

Die kleinen Piepmatze, im Schnitt 4-6 pro Ente, schlüpfen im Abstand von mehreren Stunden und piepsen ohne Unterlass. Auch das ist ein herrlicher Laut: sitzt man an der Kolonie, kann man schon von weitem hören, welche Ente Küken unter ihren Federn verbirgt. Wenn die kleinen Federknäuel dann endlich alle geschlüpft sind, verlassen die Mütter die Kolonie und bringen sie zum Wasser. Hier haben sich gleich zwei Weibchen zusammengetan - die unauflässig schnatternd ihre Kleinen den (für die Küken) langen Weg zur Meeresküste locken.



Mit diesen Bildern endet der harmonische Teil des Blogs. Ich habe diesen Bericht nicht ohne Grund mit dem Wort "Drama" begonnen...

Wo 200 Eiderenten brüten, da sind natürlich auch diejenigen, die auf ein schnelles Essen hoffen. Die Zeiten sind längst vorbei, als sich die Fressfeinde der Enten von Menschen und Hunden einschüchtern ließen: genau wie die Enten, so haben sich auch alle anderen Tiere der Umgebung mittlerweile an den ständigen Krach der Ziviliation gewöhnt. So zum Beispiel auch die riesigen Eismöwen, die ständig von den aggressiven Küstenseeschwalben belästigt werden, wenn sie in deren Brutrevier eindringen.


Mit einer Körperlänge von 70 Zentimetern und einer Flügelspannweite von 160 cm sind Eismöwen beachtliche Tiere! Zum Verdruss der Enten (und sämtlicher anderer, kleinerer Vögel) haben die Eismöwen hier auf Spitzbergen die Rolle der Greifvögel übernommen: sie jagen also aktiv und warten auf jeden günstigen Moment, um ein Nest zu überfallen oder Vögel zum Absturz zu bringen. Sie haben zwar keine Greif-Klauen, sondern ganz normale Möwenfüße, sind aber unerschrocken - und können sich mal eben schnell ein Ei schnappen und damit wegfliegen, wenn die Eiderente kurz zum Trinken vom Nest gegangen ist...



Der größte Störenfried in der Kolonie war aber der Polarfuchs, bzw. ein Polarfuchspaar, das unweit entfernt seine Jungen großzieht. Immer in Eile sind sie, scheu, aber sie wissen genau, dass die Enten eine leichte Nahrungsquelle sind. Auf die erwachsenen Vögel haben es die Füchse nicht abgesehen, zu sehr fürchten sie sich vor den Schnäbeln der Enten, aber Eier und Junge sind eine leichte Beute. Und so laufen sie, immer flott unterwegs, ohne Zögern in die Kolonie hinein - und müssen dabei auch immer durch brütende Küstenseeschwalben hindurch. Die angriffslustigen Vögelchen attackieren einen Fuchs aus weiter Ferne - und der macht dann Tempo, senkt den Kopf und rennt mit geschlossenen Augen weiter. Was sollte er auch sonst tun...?





An der Kolonie angekommen, wird kurzer Prozess gemacht. Der Fuchs sucht sich das erstbeste Nest, die umliegenden Eiderenten fliehen panisch ein paar Meter, sammeln sich dann ärgerlich schnatternd und umringen den Fuchs in gebührendem Abstand. Sie können aber nicht verhindern, dass er sich ein Ei schnappt und ohne zu zögern davonläuft. Fast Food schon eingepackt zum Mitnehmen - besseres Futter für die Welpen oder das Vorratslager gibt es kaum!






















Es mag erstaunlich klingen, aber ich kenne keine vorsichtigeren Tiere, als Polarfüchse. Einerseits sind sie es, welche die Kolonie "attackieren". Andererseits sind sie auch diejenigen, welchen man ihre Vorsicht am stärksten ansieht. Ständig sind sie schnell unterwegs, als könnten sie sich Müßigkeit nicht leisten, ständig sind sie auf der Hut. Jedes Geräusch, jede Bewegung lässt sie herumfahren, und sie haben einen Heidenrespekt vor Vogelschnäbeln. Das erklärt sich meiner Meinung nach dadurch, dass sie sich keine Verletzungen erlauben können: ein verletzter Räuber ist ein toter Räuber! Und so laufen sie mit ihrer Beute erst einmal ein paar Meter aus der Kolonie heraus und lassen ihre Blicke über die Umgebung schweifen, bevor sie mit dem Fressen beginnen. Und auch hier wird sich beeilt: es könnte ja jederzeit jemand kommen, der einem das wertvolle Futter streitig macht!









Wenn ab Mitte Mai die Küken schlüpfen, beginnt das große Schlachten. Die Enten wissen schon, warum sie ihre Küken so bald wie möglich zum Wasser bringen wollen. Der Fuchs muss nur einmal kommen, und alle Küken sind tot. Bei den Eiern war er noch wählerisch, griff sich immer nur eins, mal hier aus dem Nest, mal da - wenn aber die Küken piepsend herumlaufen, wird sein Jagdtrieb geweckt. Dann wird er nicht stoppen, bevor auch das letzte Küken still und leblos ist. Jeder Fuchsbesuch kann also in einem Massaker enden - zumindest aus der Sicht der Enten. Für den Fuchs ist es eine reiche Ernte!

Schaut euch diesen Gesichtsausdruck an! Dieser totale Fokus auf das kleine Küken, wahrscheinlich nicht einmal 24 Stunden alt, das instinktiv sein Heil in der Flucht sucht. Fünf Sekunden nach diesem Foto starb das kleine Wesen. Der Fuchs war relativ gnädig, er spielte nicht, sondern biss dem Küken ratzfatz den Kopf ab. Was nicht mehr zappelt, kann nicht verloren gehen, so einfach ist das. Schließlich warten im Bau 3-5 immerhungrige Welpen darauf, satt zu werden.

Manche Eiderenten-Bruten werden durch den Fuchs und die Eismöwen komplett vernichtet. Gerade die Küken, welche in der Kolonie als erstes und als letztes schlüpfen, haben schlechte Chancen. Dennoch watscheln immer wieder Mütter mit allen Jungen über die Straße zum Meer hinunter, begleitet von 1-3 weiteren Weibchen, welche ebenfalls ein waches Auge auf die Kleinen werfen.

Zudem muss man sich eine Tatsache immer wieder vor Augen halten. Um einen Tierbestand stabil zu halten, muss jedes Elterpaar in seinem Leben nur zwei Junge zum Erwachsenenalter durchbringen: sozusagen die beiden Tiere, welche sie ersetzen, wenn sie sterben.
Bei Tieren, wie Eiderenten, welche 15 Jahre alt werden und ab ihrem dritten Lebensjahr jedes Jahr 3-6 Eier legen, also im Schnitt 54 Eier im Leben, da kann man also schon sehen, welchen "Ausschuss" die Natur von Anfang an mit einrechnet.

























Das waren sie, ein paar Bilder von der Eiderentenkolonie und den Ereignissen dort. Jetzt, Mitte August, ist die Kolonie längst verwaist und sind alle Eiderenten wieder auf dem Meer. Die Männchen wechseln nun ins schlichte Winterkleid und die überlebenden Küken sind nun fast selbstständig und stehen vor der nächsten großen Aufgabe: den kommendne Winter zu überstehen. Natur mag hart sein und teilweise wirklich wenig freundlich. Aber eines ist sie allemal: unendlich faszinierend und unglaublich spannend!