Seit
meiner Rückkehr aus Südgeorgien versuche ich, aus
Klimaschutzgründen nicht mehr zu fliegen. Die Winter verbringe ich
jetzt überwiegend in Deutschland und halte Vorträge, allerdings
nicht zu dicht gepackt, weil dieses ständige Tingeln von Stadt zu
Stadt (mit der Bahn und von Hotel zu Hotel) echt anstrengend ist. Die
Sommer arbeite ich gerade weiterhin als Guide auf Schiffen. Das
bedeutet, dass ich Skandinavien bis in die Arktis noch machen kann,
weil besagte Schiffe meistens im Mai in Norwegen oder den britischen
Inseln beginnen und die Saison dann im August / September in Island
ausklingen lassen. Folglich arbeite ich weiterhin von Mai bis
September in der Arktis: beginnend mit einer Bahnfahrt meist nach
Norwegen, und endend in Island, wo sich dann mein mittlerweile
jährlicher Island-Herbsturlaub anschließt. Und dann bringt mich die
Autofähre Norröna irgendwann wieder zurück nach
Deutschland...
Jetzt ist aber Sommer, und dieses Mal habe ich
es gar geschafft, mit einem Schiff nach Westgrönland zu gelangen,
zum ersten Mal in meinem Leben! Nach Westgrönland zu kommen ist
meist kein Problem; die meisten Schiffe fahren aber dann weiter nach
Westen, entweder durch die Nordwestpassage, oder aber von hier aus die amerikanische Küste runter in
Richtung Südamerika. Da ist es schwierig, ohne Flug zurück nach
Europa zu gelangen. Dieses Jahr aber fährt eine der Firmen, für die
ich arbeite Anfang September von Westgrönland aus zurück nach
Island! Folglich habe ich mich in Kangerlussuaq absetzen lassen und
hatte jetzt 11 Tage Zeit für mich selbst, bevor besagtes Schiff
hierher kommt, auf dem ich dann wieder für 4 Wochen arbeite.
Der ACT kam aber für mich schon allein deshalb nicht in Frage, da ich nicht genügend Zeit hatte. Die Langstreckenwanderung ist nämlich kein Rundweg, sondern führt nach Westen, zur Küste nach Sisimiut, zur zweitgrößten Stadt Grönlands. Ich aber musste ja innerhalb von zehn Tagen wieder in Kangerlussuaq sein. Weil mich das Inlandeis ohnehin viel mehr interessierte, bin ich dann in die entgegengesetzte Richtung aufgebrochen, nach Osten. Mit dabei war mein Wanderanhänger, den ich seit meinem Bandscheibenproblem für Mehrtageswanderungen nutze und mit dem ich praktischerweise auch noch viel mehr mitnehmen kann, als wenn ich "nur" einen Rucksack tragen würde. Die Hälfte des Gewichts liegt auf dem Reifen, die andere Hälfte auf meiner Hüfte. Und mein Fotorucksack ist praktischerweise so groß, dass er auf der Haupttasche aufliegt: und somit ebenfalls kaum auf meinen Schultern (und meiner kaputten Bandscheibe) lastet. Ich liebe diese sperrige aber praktische Wanderkombi! :)
Ziel des ersten Tages: der wenig befahrenen Schotterstraße 19 km lang folgen und dann noch 5 km "offroad" hin zum Russell-Gletscher. Es handelt sich dabei um eine Touristenattraktion: vom Dorf aus werden täglich Bustouren dorthin angeboten (wobei aber auch die Bustouristen noch 30-45 Minuten laufen müssen, bis sie die Gletscherkante sehen können). Da es hier nirgendwo Zeltplätze gibt ist "wild zelten" erlaubt und gang und gäbe. Ich war erstaunt, wie beliebt diese Richtung für Wanderer ist: an dem Abend sah ich noch 5 weitere Zelte, die aber alle in großem Abstand zueinander sich ihr jeweils eigenes Eckchen suchten... Ich vermute, dass die meisten dieser Wanderer den ACT um einen Tag verlängern - um doch noch Eis zu sehen...
Beim
Russell-Gletscher blieb ich für zwei Nächte: erstens, weil ich die
Gegend fotografisch erkunden wollte und zweitens, weil ich meine Hüfte verarzten musste. Egal was ich auch
mache: der Hüftgurt des Wanderanhängers scheuert mir immer die Haut
oberhalb meiner Hüftknochen kaputt. Damit kann ich mittlerweile aber gut
leben: es bedeutet halt meist, dass der zweite oder dritte Tag jeder Reise ein Pausentag
ist und ich schlichtweg genügend Alkoholtupfer und Pflaster dabei haben muss, damit sich in den Folgetagen keine Infektion einschleicht.
Und weil ich obendrein auch noch genau an dem Tag meine Periode
bekommen habe (alle guten Dinge sind drei!) genoss ich das gute Wetter und erwanderte mir
die relativ übersichtliche Gegend zwischen der imposanten
Gletscherzunge und dem sie umfließenden, mächtigen
Gletscherfluss.
Seht ihr den braunen Stein da links unten im Bild? Das ist ein Moschusochse, genauer gesagt ein einsames und nur so halb-scheues Männchen. Die Weibchen mit Jungtieren halten viiiiel größeren Abstand zu uns Menschen: schließlich wird hier alles, was nicht bei drei auf den Bäumen sein kann, von den Inuit gejagt. Sind schon verrückt-coole Tiere, diese
Ziegenverwandten!
Der dritte Tag meiner Wanderung war genauso sonnig, wie
schon die vorhergehenden: ein Traum! Ich stiefelte die Schotterstraße
noch einmal 15 Kilometer weiter bis fast zu ihrem Ende und fand dann
auf gut 500 Meter Höhe einen der genialsten Zeltplätze überhaupt.
Was für eine Aussicht!
Die Bilder, die mich mit Zelt zeigen, sind übrigens für Hilleberg entstanden, die schwedische Firma, welche mich mit hochqualitativen Zelten ausgestattet hat. Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich mich mal von jemandem sponsorn lassen würde! Aber, he, Hillebergzelte gegen Fotos ist ein super fairer Deal! Ich freue mich, die freuen sich - eine echte Win-win-Situation! :)
Was man auf den ganzen schönen Bildern nicht sieht, ist die Menge an Stech- und Kriebelmücken, die hier unterwegs sind. Auch das war ein Grund, warum ich viel lieber in Richtung Gletscher als in Richtung Moorlandschaft aufgebrochen bin. Und weshalb ich mein Zelt immer an windigen Orten aufgebaut habe, nämlich oben auf Pässen und Hügeln, statt unten in den Tälern. Angeblich war die Mückenplage letzten Sommer noch viel schlimmer, aber wenn man aus Island kommt und da eigentlich nur die nicht-stechenden Kriebelmücken gewohnt ist, war das heftiger Tobak. Erst habe ich die Stechmücken verflucht, aber nachdem es mehrere Tage sonnig und warm war, gab es plötzlich auch noch ganze Schwärme von blutsaugenden Kriebelmücken ("black flies"). Die haben mich so dermaßen in den Wahnsinn getrieben, dass ich meinen Tagesrhythmus weitestgehend umgedreht habe und nachts aktiv war - denn das war der einzige Zeitpunkt, an denen man aufs Klo gehen konnte, ohne völlig zerstochen zu werden. Tagsüber lag ich dann meist im Zelt und habe versucht, bei den saunamäßigen Temperaturen zu schlafen - und den Mücken dabei eine lange Nase gedreht. Ein Hoch auf den Erfinder des Mückennetzes!!!
Als ich dann in der Nähe des Inlandeises war, bin ich oft zwei Tage an einem Ort geblieben bzw. habe mein Zelt nur mal ein Tal weiter wieder aufgeschlagen. Die Umgebung habe ich in Nachttouren erkundet: hier ging die Sonne vier Stunden unter, das heißt, es blieb nachts immer noch hell.
Schnell kristallisierten sich zwei Lieblingstiere für mich heraus: das waren einerseits die neugierigen und kommunikativen Spornammern (kleine Singvögel) und außerdem die schnellen aber ebenfalls vorsichtig-neugierigen Polarhasen. Die sind die amerikanischen Verwandten der Schneehasen, die es in den Alpen, in Skandinavien und Russland gibt. Die flinken Grasfresser, die hier oben auch im Sommer ein fast weißes Fell haben, habe ich jeden Tag getroffen - teils waren sie scheu, teilweise aber ließen sie mich auf gute Sicht-Distanz an sich heran. Schade, dass ich mein großes Objektiv in Kangerlussuaq gelassen hatte - aber he, selbst mit dem 200 mm Objektiv kann man mit Geduld recht gute Wildtierfotos machen!
Am Inlandeis angekommen, holte ich meine Steigeisen heraus und erkundete die hügelige Eislandschaft. Das Eis fließt hier von mehreren Seiten in verschiedenen Gletscherzungen ins Tal hinab: dementsprechend faszinierend hügelig präsentierte sich der Gletscher. Ich verbrachte zwei Abende auf ihm und war dankbar, dass ich mein GPS dabei hatte - denn in dieser hügeligen Eislandschaft kann man tatsächlich schnell den Überblick verlieren!
Das Wetter war fantastisch, die Temperaturen sommerlich und warm - viel zu warm dafür, dass ich hier nördlich des Polarkreises und direkt am grönländischen Eisschild war. Soweit das Auge blicken konnte, sah ich nur nacktes Eis oder schneefreie Berge. So wunderschön diese Gletscherwelt auch ist: ich bin / war mir sehr bewusst, dass alles schmilzt, überall und in zunehmendem Maße. Selbst hier, auf dieser zweitgrößten permanent vereisten Fläche der Welt, schmilzt das Eis rasant und bildet sich nicht mehr nach. Selten wird einem Vergänglichkeit bewusster, als bei einer Wanderung auf einem schmelzenden Gletscher...
Und dann, am fünften Tag, schlug das Wetter um und begann es wieder, zu regnen. Die Region hier hatte im Juli dreimal mehr Regen, als es normal ist, und zudem viel zu warme Temperaturen. Kein Wunder, dass die Mücken Party gefeiert haben!
Zu warm, zu viel Eisschmelze, zu viel Regen, viel zu viele Mücken: dem aufmerksamen Beobachter zeigt die Natur, dass sie sich verändert. So wunderbar meine Wanderung auch war, so ist diese unterschwellige Trauer doch auch immer dabei. Wenn ich einen Eisbären sehe (nicht hier, hier gibt’s keine: zu weit südlich, zu weit vom Meer entfernt...) dann sehe ich auch, wie dünn das Tier ist. Wenn ich Eis sehe, dann sehe ich die Schönheit - aber auch, dass alles schmilzt und unwiederbringlich verloren geht. Die Klimakatastrophe beeinflusst die ganze Welt - und ich kann meine Augen dem schon lange nicht mehr verschließen.
Langsam machte ich mich nun auf den Rückweg, suchte mir weitere wunderschöne Stellplätze für mein Zelt, genoss die Natur hier auch bei Regen und Bewölkung. Dabei musste ich feststellen, dass die Kriebelmücken bei Regen nochmal eine Runde aufdrehen. Was war ich froh, dass ich ein Mückennetz für den Kopf dabei hatte - und sich die Viecher an die Regel hielten, zwischen 21 Uhr und 7 Uhr Waffenruhe zu halten. Nie zuvor war es leichter, nachtaktiv zu sein, als auf dieser Wanderung! :)
Die letzten 20 Kilometer zurück nach Kangerlussuaq folgte ich nicht mehr der Schotterpiste (die kannte ich ja schon), sondern beschloss, einen auf der Wanderkarte eingezeichneten Wanderweg zu suchen. Ziemlich schnell stellte ich fest: diese eingezeichneten Routen sind nichts anderes als Vorschläge, wo man potentiell langgehen kann - aber keineswegs, dass da ein Pfad zu erkennen sein sollte, oder dass es gar möglich ist. Ich hatte mit meinem Wanderanhänger also ziemlich Spaß, 200 Höhenmeter auf einen Bergrücken raufzukommen. Die Aussicht von dort oben lohnte sich aber sowas von! Dort zu zelten war ebenfalls herrlich - viiiiel besser, als unten an der Schotterstraße! :)
Hier noch eine Übersichtskarte über die insgesamt 140 Kilometer, die ich in den neun Tagen zurückgelegt habe: etwa die Hälfte mit dem Monowalker (meinem Wanderanhänger, also mit vollem Gepäck) und die andere Hälfte "nur" mit meinem Fotorucksack auf bis zu 10 km langen Tages- bzw. Nachtwanderungen
Und damit verabschiede ich mich mal wieder; morgen geht es an Bord besagten Schiffes, das mich in einem Monat dann wieder in Island absetzen wird. Ich wünsche euch alles Gute - und versuche, mich bald mal wieder auf diesem Wege zu melden!