Im Schutze der britischen Inseln fuhren wir mitten durch ein Öl- und Gasfördergebiet. Ölplattformen kannte ich bis dato nur als kleine Punkte im Meer - sie einmal aus relativer Nähe zu sehen, fand ich gleichermaßen spannend wie bedrückend. Es sind die hässlichsten menschlichen Bauwerke, die ich je gesehen habe - fernab der Zivilisation ist hier alles nur auf Funktionalität ausgerichtet. Niemand spricht über die Verschmutzung, die von diesen Dingern ausgeht und die man auch so gut wie nie sieht - das Meer schluckt ja alles, still und leise.
Wie man dort freiwillig arbeiten kann, ist mir auch deshalb ein Rätsel. Gute Bezahlung hin oder her: NICHTS dazu bringen, auf diesen Kolossen zu leben! Schon allein, wie die Rettungsboote dort hängen, so weit über dem Wasserspiegel: was für ein Aufschlag das wohl sein muss, wenn das Boot im freien Fall ins Meer knallt... Nee danke, nicht mit mir!
Auf dem oberen Bild sieht man die Alba Northern Plattform, die von einem Gischt-Regenbogen so schön in Szene gesetzt wurde, wie es bei einem so hässlichen Teil nur möglich ist. Diese Bohrinsel liegt 210 Kilometer nordöstlich von Aberdeen in einer Wassertiefe von 138 Metern. Seit 1994 werden hier sowohl Öl als auch Gas gefördert, ersteres wird von Schiffen abgeholt, letzteres über eine Pipeline zur Nachbarplattform Britannia geleitet. Betreiber sind: Chevron North Sea, Statoil U.K., Mitsui E&P U.K., Centrica Resources, Enquest Production, Enquest Energy und Endeavour Energy U.K.
Das folgende Foto zeigt man die Plattform Britannia 16/26, welche in Sichtnähe zu Alba Northern liegt und von Chevron U.K und Conoco U.K. betrieben wird. Seit 1998 fördert sie Gas, das durch eine unterseeische Pipeline nach St. Fergus in Schottland transportiert wird. Das Britannia Gasreservoir ist das größte Großbritanniens, und deswegen stehen hier auch eine Menge Bohrinseln - gesehen habe ich acht, fotografiert fünf. Jedes von diesen Bauwerken sieht anders aus - da scheint es keinen Standard zu geben.
Und dann waren wir, nach drei Tagen Reise, in Island angekommen. Wir, das waren Olaf und ich, denn Olaf will einen neuen Islandvortrag fotografieren und hatte einen Platz im Auto frei. Und diese zwölf Tage, in denen wir zusammen die Insel umrundeten, zeigten mir ein Island, das ich so noch nicht kannte: ein Island in den Zeiten des Massentourismus.
Mich hat diese Reise geschockt, das muss ich ehrlich sagen. Die Natur Islands ist wie eh und je: wild, unberechenbar und schön, aber wir waren dort nicht mehr alleine. Zeitgleich mit uns entdeckten gut 115.000 andere Leute die Insel - und das in der totalen Nebensaison. Ostern war vorbei, und trotzdem hatten wir vielerorts Mühe, überhaupt spontan Unterkünfte zu finden, die dann teilweise völlig überteuert waren. Südisland war am schlimmsten, da war man an den Sehenswürdigkeiten nicht einmal mehr nachts alleine. Es gibt Fotos, die kann man nicht mehr machen: weil ständig jemand im Bild ist, alles von Fußspuren zertrampelt oder der Ort durch Absperrungen und Gehwege verschandelt worden ist.
Ein ruhiger Moment am Seljalandsfoss: keine Reisebusse, keine Großgruppen und "nur" 100 andere Besucher... |
Dass die Orte des Golden Circle, Jökulsárlón und die Wasserfälle direkt an der Ringstraße fotografisches Sperrgebiet geworden sind, war mir schon klar - aber der Wahnsinn hat sich längst auf viele andere Sehenswürdigkeiten ausgeweitet. Beim Kirkjufell (Grundarfjörður, Snæfellsnes) wollten Olaf und ich Nordlichter fotografieren. Als wir dort zu Beginn der Nacht ankamen (also als es schon komplett dunkel war), standen dort sage und schreibe 17 Autos und Kleinbusse - ich dachte echt ich bin im falschen Film. Gut, es war Wochenende UND es war starke Nordlichtvorhersage - aber so viele Fotografen, die ganz gezielt für die Nordlichter zu diesem Berg fuhren hätte keiner von uns erwartet. Wir haben nicht einmal angehalten, sind sofort weitergefahren und haben uns andere Motive gesucht. Mit solchen Massen von meist egoistischen Leuten, die alle das "beste Bild" haben wollen und außerdem nachts ständig ihre Kopflampen anhaben, kann man nicht arbeiten. Da ziehe ich lieber die Einsamkeit an einem weniger bekannten und möglicherweise weniger spektakulären Motiv vor. Das allerdings zu finden, wird in Zukunft die größte Herausforderung sein...
Nordlichtfotografie am Goðafoss: auch hier mal wieder andere Fotografen. Man ist sich ständig gegenseitig im Bild. Spaß macht das nicht mehr... |
Bei den Touristen war auffällig, das sehr viele Asiaten unterwegs waren - auch das ist neu hier auf Island. Bisher traf man eher "westliche" Touris an, Amerikaner, Briten, Skandinavier, Franzosen und Deutsche, aber die Asiaten holen nun offensichtlich auf - mit der Folge, dass man regelmäßig angesprochen wird, ob man nicht ein Foto von ihnen machen könne. Mir scheint, dass der Durchschnittsasiate von jedem Motiv mindestens ein Selfie und ein von einem Fremden gemachtes Portrait vor Landschaft braucht, um glücklich zu sein...
Was mir auch ziemlich gegen den Strich ging, waren Drohnen bzw. unbemannte Luftfahrzeuge, Octocopter oder wie die Dinger heißen. Gesteuert wurden sie von jungen Männern westlichen Aussehens, welche die Naturschönheiten überhaupt nicht angesehen haben. Warum kommen sie überhaupt nach Island, wenn sie dann doch nur über ihrem Bildschirm hängen, wie über einem Computerspiel? Und was andere denken mochten, die von den surrenden, flitzenden Fluggeräten vielleicht in ihrem Naturerlebnis gestört wurden, schien sie nicht im Geringsten zu interessieren: es war Egoismus pur. So konnte ich Island wirklich nicht mehr genießen - es war ein Trauerspiel, gerade und besonders an den einzigartigen und bekannten Orten.
Helden des Drohnenflugs: konzentriert auf Fluggerät oder Bildschirm |
Ich rede in unserem Vortrag "Inseln des Nordens" zwar vom Tourismusboom in Island - aber es vor Ort zu erleben ist dann doch etwas anderes. Ganz besonders, wenn man das "alte" Island noch gut in Erinnerung hat... Als ich im Jahr 2001 das erste Mal nach Island kam, verzeichnete die Insel knapp 300.000 Touristen pro Jahr. 2015 waren es knapp 1.3 Millionen. Und für das Jahr 2016 werden 1.7 Millionen Touristen erwartet - 400.000 mehr als letztes Jahr. Es ist völlig verrückt und tragisch, denn es verändert alles. Ich bin noch nie so oft abgezockt worden, wie auf dieser Reise - was einige Isländer da in ihrer Geldgier geboten haben, geht auf keine Kuhhaut. Überall schießen Hotels aus dem Boden, Zäune, Absperrungen, Plattformen, Gehsteige - und Verbotsschilder. Man merkt, wie genervt manche Isländer sind: ich habe noch nie zuvor Schilder gesehen, die beispielsweise sagen: "Privatweg - Befahren verboten!". Das ist jetzt gang und gäbe: Schilder wie "Privat" oder "No Trespassing" sind ein häufiger Anblick geworden. Am Heftigsten war ein Anwesen beim Kirkjufell: dort wurde in einem Schilderwald dann sofort einmal mit Gefängnis gedroht.
Wow.
Ist das das neue Island...?
Gänzlich vom Glauben abgefallen sind Olaf und ich dann am Mývatn. Da wurde ein neuer Hollywood-Actionfilm gedreht, Fast and the Furious 8 - keine Ahnung was genau das ist, solch natur- und frauenverachtenden Autofilme gucke ich nicht.
Dass in Island Blockbuster gedreht werden, ist nichts Neues und überraschte mich nicht. Unglaublich war für mich allerdings die Tatsache, dass sie diesen Film im Natur- und Wasserschutzgebiet direkt auf dem Mývatn gedreht haben. Der Uferbereich bei Skutustaðir wurde eine Fläche von mindestens einem Fußballfeld in einen schlammigen Parkplatz verwandelt.
Der Uferbereich des Hauptschauplatzes der Dreharbeiten von Fast and the Furious 8 |
Auf dem See waren Räumfahrzeuge unterwegs, die eine Rennstrecke auf dem Eis präparierten, es gab künstliche Eisberge, Explosionen, ein Bagger ging unter und ein Auto glaube ich auch. Ich wiederhole noch einmal: dies ist ein NATURSCHUTZGEBIET. Hier lebten bis vor kurzem die weltweit einzigartigen Kugelalgen Aegagropila linnaei, die bei der letzten Bestandszählung verschwunden waren. Bei solchen Aktionen direkt in ihrem Lebensraum bezweifle ich, dass die Population sich jemals wieder erholen wird - aber das ist den Leuten dort wohl völlig egal, Hauptsache, es springt Geld und etwas Ruhm auf sie ab.
Es war/ist zum Heulen!
Screenshots von den Dreharbeiten von Fast and the Furious |
Täglich sind Olaf und ich während dieser Reise mit solchen unglaublichen Absurditäten konfrontiert worden. Die Reaktionen der Isländer, die ich auf diese Themen ansprach, waren sehr gemischt, aber generell eher unbekümmert. Es kommt Geld ins Land - das scheint die Hauptsache zu sein. Widerstand hört man kaum, auch wenn er da ist, im Kleinen. Mein Island aber, mein zauberhaftes, einsames Island, ist entlang der Ringstraße verschwunden, und ich muss mich damit abfinden, es zu Teilen an den Massentourismus verloren zu haben. Es ist eine Entwicklung, die lange abzusehen war, weil die Isländer viel an ihrem Image gearbeitet haben und es auch weiterhin in großspurigen Marketing-Kampagnen weltweit anpreisen. Und jetzt werden sie überrollt von Menschenmassen, die sich teilweise nicht zu benehmen wissen und (ganz gemäß der Werbung "Tolles Land der unbegrenzten Möglichkeiten") völlig weltfremd und gänzlich egoistisch durch die Natur schlafwandeln. Die Isländer selbst sind auf einen solchen Ansturm teilweise ziemlich idiotischer Zeitgenossen nicht einmal annähernd vorbereitet. Auch und besonders der Staat scheint nicht in der Lage, die Entwicklung im Tourismus auch nur irgendwie zu lenken. Es gibt keine Regeln in diesem Land der Cowboy-Mentalität, jeder kann machen was er will solange der Rubel rollt, und der rollt, und rollt, und rollt. Solange, bis es zum Eklat kommt. Mal gucken, wann es soweit ist - lange kann es nicht mehr dauern!
Denn wie heißt es in Goethes Zauberlehrling so schön?
Die ich rief, die Geister, Werd' ich nun nicht los.