Schneller als gedacht ist schon wieder
September und zieht der Herbst ins Land. Hinter mir liegt ein Sommer auf See
und verbrachte ich zweieinhalb Monate auf insgesamt drei schaukelnden Schiffen,
die Svalbard/Spitzbergen umrundeten. Kann mal einer die Zeit verlangsamen,
bitte...?
Es begann damit, dass ich für die Firma Polar Quest (Polar
Kreuzfahrten) als Praktikant auf dem Schiff „Ocean Nova“ anheuerte. Das kleine,
blau-weiße Expeditionskreuzfahrtschiff beherbergt bei voller Belegung 75 Gäste,
normalerweise aber so um die 65, die von einem 7-köpfigen Guideteam und einer
Schiffsbesatzung von etwa 40 rund um die Uhr betreut werden.
Expeditionskreuzfahrtschiffe sind wesentlich kleiner und meist auch weniger
luxuriös als große Luxusliner, die ich gerne als "schwimmende Städte"
bezeichne. Die kleineren Expeditionskreuzfahrtschiffe sind schwimmende Hotels
mit Vollpension: drei- bis viermal täglich gibt es Essen, die je nach
Preisklasse unterschiedlich großen Zimmer haben Toilette und Dusche und werden
täglich gereinigt. Es gibt eine Bar, eine Bibliothek, einen großen
Aufenthaltsraum mit Glasfassade, und ein kleines Fitnessstudio mit Tretmühle,
Fahrrad und Hanteln. Das alles scheint so der Standard für sogenannte
Expeditionskreuzfahrtschiffe zu sein.
Nach zwei jeweils 7-tägigen Reisen auf der Ocean Nova (eine Umrundung
Spitzbergens und eine Umrundung von Austlandet mit Rückkehr entlang der
Nordwestküste) hatte ich zwei Tage Aufenthalt in Longyearbyen, bevor ich das
Schiff wechselte und für die gleichen Firmen nun zwei 10tägige Reisen auf der
„Quest“ unternahm (zwei Umrundungen Spitzbergens mit Reise zur Packeisgrenze).
Die Quest ist eine kleine Badewanne mit Platz für 47 Passagiere, die dort in
Ölsardinenmanier gestapelt werden. Alles ist klein und eng auf dem Schiff –
weswegen man als Gruppe sehr zusammenwächst und in der Abwicklung der Landgänge
alles schnell und reibungslos vonstatten geht.
Das Klientel, das diese Reisen bucht, sind meist unternehmungslustige,
ältere und gebildete Menschen, die vor allem eines sehen möchten: Tierleben.
Die „big five“ von Svalbard sind: Eisbär, Walross, Wal (egal welcher),
Polarfuchs und Bartrobbe. Und all diese Begegnungen kann man, zumindest grob,
einigermaßen planen: genau dies macht der Expeditionsleiter. Er/sie weiß genau,
wo sich Walross-Schlafplätze befinden, wo das letzte Mal Buckelwale gesichtet
wurden oder aber wo ungefähr sich Eisbären finden lassen. Die Treibeisgrenze
wird von allen Schiffen total gerne angefahren, so sie denn in der Nähe von
Spitzbergen ist: einerseits ist es ein irrsinniges Erlebnis, das See-Eis des
vergangenen Winters auf dem blauen Wasser schwimmen zu sehen, und andererseits
ist dies das bevorzugte Habitat des Eisbären. Und diese kommen, wenn es
neugierige Tiere sind, auf den Eisschollen teilweise extrem nahe an das Schiff
heran um uns auszukundschaften – dies sind die besten Eisbärenbegegnungen
überhaupt!
Die letzten noch zugefrorenen Buchten und Fjorde sind ebenfalls
Eisbärensammelstellen: die auf Robbenjagd spezialisierten Bären lauern auf dem
Eis jenen Tieren auf, die sich auf dem Eis ausruhen wollen. Alle paar Jahre
wird außerdem ein Walkadaver irgendwo an Land gespült: wenn das der Fall ist
können sich dort Dutzende von Bären versammeln und relativ gefahrlos aus sehr
großer Nähe von Booten aus betrachtet werden. Ein solches Spektakel gab es
dieses Jahr aber nicht zu bestaunen!
Wie ich im Laufe der vergangenen Monate nun ja schon mehrmals
geschrieben habe, war der vergangene Winter zu warm und hat sich deshalb nicht
viel See-Eis gebildet. Das war für die Kreuzfahrtschiffe einerseits gut, weil
man dieses Jahr wirklich alle Ziele erreichen konnte und nicht von Eisbarrieren
gestoppt wurde. Für die hiesige Tierwelt war das aber eine mehr oder weniger
große Katastrophe. Es geht hier nicht nur um Eisbären, die immer weiter gen
Norden wandern müssen, oder um Sattelrobben, denen die Jungen ertrinken weil
das Eis unter ihnen schmilzt bevor sie schwimmen können. Das wahre Problem
beginnt bei den ganz kleinen Lebewesen: bei Algen. Diese wachsen nämlich unter
dem Meereis, nutzen das Eis also als Halt im sonst so unruhigen Wasser –
schließlich fungiert das Eis ja auch als Wellenbrecher und besteht zudem aus
konzentiertem Süßwasser und konzentrierten Mineralien. Der lange Polarsommer
bringt Sonnenlicht im Übermaß: die Produktivität dieser winzigen Algen ist
enorm. Von den Algen leben Einzeller und Plankton, von dem Plankton leben
Fische und Quallen, leben Wale, Robben und Eisbären – kurzum: die ganze Arktis
basiert auf Algenwachstum. Und das ist wie gesagt unmittelbar an Meereis
geknüpft, das den Sommer überdauert.
Bildet sich im Winter weniger Eis oder schmilzt es zu früh ab, dann
verkleinert sich die Fläche unter der die Algen wachsen können. In unserem Fall
reden wir mal eben von der Fläche Europas! Dann gibt es weniger Nahrung für
alle Beteiligten, und in Folge weniger Krill, weniger Fische, Robben, Wale und
Eisbären.
Wir haben diesen Sommer genügend große Tiere gesehen, aber wir mussten
sie teilweise sehr lange suchen. Diese Tiere waren aber zum Glück entweder
normalgewichtig oder eher sehr gut im Futter: nur zwei mal sah ich wirklich
dünne Tiere, eines davon war ein Weibchen mit einem Jungen.
Neben Eisbärensichtungen, von denen wir pro Reise 2-20 verzeichnen
konnten, sahen wir auch Seevögel wie etwa die Dickschnabellumme zuhauf, ebenso
wie Walrosse und Buckelwale. Alle meine Kollegen, die schon mehrere Jahre
Svalbard bereisten, sagten, dass dies der Sommer der Buckelwale gewesen sei:
wir hatten mehrere wirklich hautnahe Begegnungen mit ihnen, und zweimal hatten
wir das riesige Glück, ihnen in Zodiaks nahekommen zu dürfen. Das für mich
unglaublichste Ergebnis war, als wir um Mitternacht im warmen Licht der
tiefstehenden Sonne bei ganz ruhigem Wetter zwei Buckelwale beim Fressen
beobachten durften. Buckelwale sind Bartenwale, das heißt dass sie sich von
kleinen Meerestieren ernähren, von Krill oder kleinen Fischen. Damit sie davon
möglichst viel auf einmal Schlucken können tauchen die Wale meist in Gruppen
von 2-3 Tieren unter den Schwarm und atmen Luft aus während sie im Kreis
unterhalb des Schwarmes schwimmen. So bilden sie ein Netz aus Luftblasen, dass
den Krillschwarm noch mehr zusammentreibt. Während sie diese Spirale aus
Luftblasen bilden schwimmen sie an die Wasseroberfläche, und sind sie dort
angekommen befindet sich der gesamte Schwarm extrem komprimiert innerhalb
weniger Kubikmeter Wasser: dann heißt es für die 15 Meter lange Wale nur noch:
Maul auf und auftauchen!
Praktischerweise können wir diese Luftblasen sehr gut sehen und wissen
daher bis zu eine Minute vorher wo ungefähr der/die Wal/e auftauchen werden. An
jenem Abend Mitte August war ich einer von sechs Zodiakfahrern, die im großen
Halbkreis um den Ort herumstanden, an dem die Wale zuvor aufgetaucht waren. Ich
sah dann wieder Blasen aufsteigen, drehte mein Boot in die richtige Richtung
und schaltete den Motor komplett aus: allerdings ohne mit eingeplant zu haben,
dass das Boot ja noch leicht durchs Wasser glitt. Auch durch die leichte Dünung
driftete ich etwa 15 Meter weiter, als ich es geplant hatte, und befand mit
plötzlich unmittelbar über dem großen Kreis aus Blubberblasen. Ich vertraute
den Walen jedoch einerseits genug (sie würden uns auch ohne den knatternden
Motor definitiv bemerken!) und es war andererseits auch zu gefährlich, den
Motor wieder anzuschalten und wegzufahren: die großen Tiere würden jeden
Augenblick auftauchen und ich wollte sie nicht verletzen. Also sagte ich meinen
Gästen, dass sie die Ruhe bewahren sollten und dass gleich unmittelbar neben
dem Boot ein oder zwei lastwagengroße Wesen erscheinen würden. Und Tatsache: zehn
Meter von uns entfernt bliesen die beiden Wale und zeigten uns ihren Buckel.
Dabei aber blieb es nicht: unmittelbar neben dem Zodiak tauchten sie
nacheinander wieder auf – der zweite Wal näher als der erste, zum Anfassen nah.
Beim Atemholen blieb es nicht: sie begannen ihren nächsten Tauchgang und hoben
ihre Fluken etwa zwei Meter neben unserem Boot aus dem Wasser, ohne Spritzen,
sanft und leise, und etwa ziemlich genau so groß, wie unser Zodiak-Gummiboot
mit uns 11 Menschen an Bord lang war! Ein Teil meiner Gäste jauchzte vor
Freude, wir anderen waren sprachlos – und auch ich wusste gar nicht, wohin mit
meinen Gedanken, als ich den Motor wieder anwarf und uns schnell in einen
größeren Abstand zu den riesigen Meeressäugern brachte. Ihnen so nahe zu kommen
war nicht beabsichtig gewesen: generell sollten wir einen Mindestabstand von
25-30m einhalten, um weder die Wale noch uns zu gefährden. Dennoch war es eines
der Erlebnisse diesen Sommers, die sich mir am meisten eingeprägt haben –
fantastisch!
Das waren nur ein paar Bilder und Ereignisse des vergangenen Sommers –
ich werde mich bald wieder melden, mit neuen/alten Eindrücken der vergangenen
Wochen. Bei mir wird es noch zwei Wochen lang garantiert nicht langweilig
werden: genauso spontan, wie ich den Job auf der m/s Expedition bekam (das
Schiff, auf dem ich die vergangenen zwei Wochen arbeitete), erhielt ich nun das
Angebot, nicht mit dem Flugzeug sondern besagtem Kreuzfahrtschiffchen nach
Island zu reisen. Die Fahrt führt uns aber nicht direkt auf meine geliebte
Insel, sondern wird die Ostküste Grönlands erkunden. Auch hier bin ich
angeheuert um als Guide, Zodiakfahrer und Eisbärenwache Touristen und Natur zu
beschützen: da ich noch nie in Grönland war (und auch nicht glaubte, dass ich
so bald dorthin gelangen würde) freue ich mich natürlich total! Wer hätte
gedacht dass ich mit meiner Seekrankheit dann doch so gut klarkommen würde,
dass ich diese Art der Schiffsreisen gut überstehen würde?
Das nächste Mal werde ich mich also in frühestens drei Wochen melden –
dann vermutlich aus Deutschland. Dort werde ich die kommenden drei Monate
wieder zur Landratte mutieren – und von den vielen Erlebnissen zehren, die ich
diesen Sommer erfahren durfte.
Auf bald!