Dienstag, 9. Juni 2020

Eiderenten in Island - Teil 1

Wisst ihr, was Eiderenten sind? Habt ihr gar schon einmal von Eiderdaunen gehört? Wenn nicht, dann bleibt dran. Und wenn doch, dann bleibt auch dran! :-)

A
ls ich mich im Frühjahr dazu entschloss, den Coronavirus in Island "auszusitzen", musste ich mir relativ schnell einen Job suchen. Im Tourismus war nichts zu holen, in Reykjavík bzw. einer Stadt wollte ich nicht arbeiten - also gab's nur noch eine Branche: die Landwirtschaft. Ich habe ja bereits erwähnt, dass ich in meinem Leben schon auf vielen Bauernhöfen gearbeitet habe: vor allem mit Milchkühen, aber auch mit Schafen und Islandpferden. Weil ich gerne etwas Neues kennenlernen wollte, schrieb ich eine Email an den 'Eiderentenzuchtverband Islands'. Und kam so nach Skagi in Nordisland, auf eine Farm, die eine Eiderentenkolonie betreut.

Eiderenten sind wilde Enten der Polarregion. Sie brüten vor allem in den Küstengegenden des Polarkreises und sind in Skandinavien die häufigste Entenart - aber nicht wirklich die attraktivste. Eiderenten sind groß und wirken schwerfällig und plump. Die Weibchen sehen auf den ersten Blick aus, wie dicke Stockenten: braun meliert und unscheinbar. Die Männchen legen sich zur Balzzeit allerdings ein prächtiges, weißes Prachtkleid zu. Sie sind dann schwarz-weiß, mit einem Hauch von Rosa auf der Brust und einem moosgrünen Nackenfleck. Zudem haben sie eine spannende Kopfform, die einer Gans ähnlicher sieht, als einer Ente. Und sie stoßen total lustige Laute aus:
Eiderentenrufe
 


Die meisten Entenarten brüten im Süßwasser, an Seen oder Flüssen: nicht so die Eiderenten. Es sind echte Meeresvögel, die in Europa zwar manchmal im Inland anzutreffen sind, meistens aber an den Küsten leben. Während viele andere Entenarten 'ne Menge Pflanzen fressen, ernähren sich Eiderenten von Krebstieren, Muscheln und sogar von Fischen (was für Enten echt ziemlich speziell ist). Cool ist auch die Tatsache, dass sie die Muscheln mit Schale fressen, die dann von ihrem Magen aufgebrochen werden: die Schalen-Bruchstücke werden dann wieder ausgewürgt...
 


In Island gibt es verhältnismäßig viele Eiderenten, und daher ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass die Isländer diese Vögel seit Jahrhunderten sehr schätzen: als Daunenlieferant. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts stellten Eiderdaunen eines der wichtigsten Exportgüter Islands dar, und auch heute noch kommt der Eiderente eine größere wirtschaftliche Bedeutung zu. Etwa 80 % der Eiderdaunen des Weltmarktes stammen aus Island!

Eiderdaunen sind in jeglicher Hinsicht die besten Daunen, die es im Tierreich gibt: extrem warm, extrem leicht und extrem haltbar. Es ist die teuerste Daune, die man kaufen kann:
eine 'simple' Bettdecke aus Eiderdaunen kostet mal eben schlappe 1500 - 2500 € ...
 

Herkömmliche Daunen, meist von Gänsen oder Zuchtenten, stammen von getöteten oder sogar lebendig gerupften Vögeln. Denkt dran, wenn ihr das nächste Mal eine Daunen-Bettdecke oder modische Daunenjacke kaufen wollt: es mussten Tiere dafür leiden und / oder sterben!

Bei den Eiderenten ist es so, dass sich die Weibchen freiwillig und eigenständig einen Teil ihres Daunengefieders auszupfen und
ihr Nest damit polstern. Wenn sie ihr Nest dann mit den Küken verlassen, kann der Mensch diese fluffigen, braunen Daunen einfach einsammeln - ganz ohne Tierquälerei!  

Weil die Eiderdaunen im Verkauf so viel Geld bringen, gibt es in Island viele Farmen, die Eiderentenkolonien "betreuen". Von züchten kann man hier nicht sprechen: diese wilden Enten kommen und gehen, wann und wie es ihnen beliebt, und sie werden auch nicht gefüttert oder eingefangen. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich allerdings eine Art Partnerschaft zwischen Mensch und Tier entwickelt: der Mensch schafft den Enten einen geschützen Brutplatz und sorgt dafür, dass sie es während des Frühsommers dort gut haben und nicht von Feinden gefressen werden. Und im Gegenzug dazu liefert die Ente die Daunen. Das ist die kurze Version dieser Zusammenarbeit.
Die ausführliche, die kommt jetzt.

      

Ganz im Norden von Skagi, unmittelbar vor der Küste meiner Farm, liegt eine kleine Insel. Seit vielen Menschengenerationen kommen hierher Enten zum Brüten, und passen Menschen auf diese Enten auf.

Was bedeutet das im Klartext?

Mein Bauer kümmert sich darum, dass unmittelbar vor der Brutsaison, also im April-Mai, die Polarfüchse der Umgebung "verschwinden". Das macht er mit Hilfe eines Schrotgewehres, und ja, das ist vom isländischen Staat abgesegnet, mehr noch: es gibt sogar Geld für jeden geschossenen Fuchs. So leid mir das für die Füchse tut, so verstehe ich es doch, denn ich habe auf Spitzbergen erlebt, was diese katzengroßen Räuber in den Kolonien anrichten. Sie laufen regelrecht Amok und töten, so viel sie können: viel mehr, als sie oder ihre Jungtiere fressen können.
 
Ein Bild von Svalbard



  
Ein weiterer Feind der Enten ist der Nerz: ein vom Menschen eingeschleppter Marder, der Fische, Vogeleier und auch Vögel frisst. Im Winter war zweimal schon ein Nerzjäger mit Spürhund hier, der die ganze Küste abgegangen ist und dafür gesorgt hat, dass diese gefräßigen Räuber momentan nicht mehr da sind.
Auch die Population der Großmöwen wird niedrig gehalten: mein Bauer sammelt Möweneier (um sie zu essen) und hatte mehrere Tage Jäger auf seinem Land, die Dutzende von ihnen geschossen haben - auch das vom isländischen Staat finanziert. Im Gegensatz zu den Füchsen und Nerzen (beide momentan nicht mehr vorhanden) hatte ich allerdings nicht das Gefühl, dass das irgendeinen Unterschied gemacht hat: Großmöwen gibt es hier echt genug. Und von Spitzbergen weiß ich: sie sind immer hungrig und extrem furchtlose Jäger!
  

Noch ein Bild von Svalbard: eine Eismöwe mit einem Eiderentenei im Schnabel
  
Die Enten und ihre Brut vor Fressfeinden zu schützen ist aber nicht die einzige Aufgabe, die so ein Eiderenten-Farmer hat. An vielen Orten werden den Vögeln perfekte Nistgelegenheiten eingerichtet: aber ich glaube, dass sich selten jemand eine solche Mühe macht, wie "meine" Farmer - beziehungsweise dieses Jahr ich. Anfang Mai war ich 12 volle Arbeitstage lang auf der Insel, um diese für die Enten vorzubereiten. Bei Flut hat mich mein Bauer mit dem Boot hingefahren, und bei Ebbe bin ich zu Fuß über glitschige Steine bis zur Insel balanciert, denn dann gibt es kurzzeitig eine Art Landbrücke.
 


Hier auf dieser Insel gibt es ein richtiges Eiderentendorf: die Bauern hier haben den Vögeln Häuschen gebaut! Es sieht zu süß aus, wie ein Dorf aus Elfenhäuschen: es ist einfach nur nett, was die Menschen hier tun, um es diesen Ort so attraktiv wie möglich für die Enten zu gestalten! Denn die mögen ein Dach über'm Kopf und Wände als Windschutz - ohne Zweifel, das finden sie voll gut! Und wenn's dann noch flattert und klimpert und glänzt, sind sie total begeistert...
 



Enten sind, wie viele Tiere, sehr standorttreu. Eine Eiderente wird zum Brüten an jenen Ort zurückkehren, an dem sie selbst geschlüpft ist. Um die Rückkehr der Vögel brauchen sich die Eiderbauern keine Sorge zu machen, sehr wohl aber um deren Anzahl. Gute Brutbedingungen (Schutz vor Wind und Wetter und natürlich vor Räubern) erhöht die Anzahl der überlebenden Küken, und je mehr Vögel nach ein paar Jahren zurückkehren, desto mehr Daune werden sie hinterlassen.

Und genau deswegen war es eine arbeitsintensive, aber wichtige (und schöne!) Arbeit, diese Häuschen für die Brut vorzubereiten. Erstmal waren nach dem stürmischen Winter viele Wohnungen beschädigt oder locker und mussten repariert und mit Stöcken im Boden befestigt werden. Dazu kommt, dass sich auf dieser Insel auch eine größere Anzahl an Papageitauchern befindet.
 


Erst habe ich gejubelt, dann aber geflucht. Papageitaucher graben sich Gänge in die oberste Erdschicht und brüten ihr einziges Küken in einer Höhle aus. An sich ist das kein Problem, aber: Papageitaucher finden die Entenhäuschen auch SEHR attraktiv, und sie lieben es, ihre Bruthöhle in einem Häuschen beginnen zu lassen: irgendwie nachvollziehbar, so eine Veranda mit Dach, die würde mir auch gefallen! Allerdings nehmen sie damit einer Ente den Nistplatz weg. Also habe ich kurzen Prozess gemacht und den kleinen Clowns ihr Vordach weggenommen. Das bedeutete: einen neuen Platz für das Häuschen suchen, eine fußballgroßes Kuhle ausstechen, Häuschen drübersetzen, einen Stock tief in den Boden rammen und das Häuschen daran festnageln. Viel Arbeit - und ich bin mir fast sicher, dass nächstes Jahr dann doch wieder ein Papageitaucher einziehen wird... *grummel*


So sieht das aus, wenn ein Papageitaucher eingezogen ist:
unter der Veranda geht's rein in den 1-3 Meter langen Gang zur Bruthöhle...
 
Und dann musste ich aus allen Entennestern das alte Nistmaterial entfernen (altes, nasses Heu voller Eierschalenreste) und durch neues, frisches Heu ersetzen. Es kam mir ein bisschen so vor, als würde ich hunderte von Osternestern vorbereiten.

Letztendlich habe ich schätzungsweise 2500 Nester repariert, gesäubert und mit frischem Heu bestückt. Ich habe ja im Leben schon einige ungewöhnliche Dinge getan, aber das hier war definitiv einer der verrücktesten Jobs, die ich je hatte!
 

Als dann Mitte Mai die Brutsaison begann und die Enten in Massen auf die Insel strömten, hatten sie die totale Luxuswahl an Übernachtungsmöglichkeiten. Vom einzelnstehenden Bungalow zum Reihenhaus, über Schutzwände (ohne Dach über'm Kopf), bishin zu 'natürlichen' Nistplätzen (Schutz durch Steine oder Treibholz). Und wenn ihnen davon nichts gefällt, können sie sich immer noch selber eine Kuhle scharren und Gras zusammensuchen...


Die zweite Maihälfte lang gehörte die Insel den Eiderenten; wir haben sie währenddessen nicht betreten. Die Enten sind trotz allem sehr scheu und flüchten, sobald sie einen Menschen nur sehen. Es war echt nicht leicht, gute Fotos von ihnen zu machen, und das, obwohl die Weibchen schon mit dem Legen der Eier begonnen hatten.
 


Eiderenten sind Nestflüchter: sie wollen, dass ihre Küken alle an einem Tag ausschlüpfen. Sobald die Kleinen dann trocken sind, nimmt die Mutter sie mit ins Meer und ist dabei ständig auf der Hut vor Räubern. Die Eiderente braucht aber mindestens einen Tag, um ein Ei zu produzieren, meistens länger. Und deshalb beginnt sie erst mit dem Brüten, wenn sie das letzte Ei gelegt hat (im Schnitt haben sie 3-6 Eier pro Nest). Bis es soweit ist, kommt das Weibchen nur zum Nest, um das nächste Ei zu legen, das sie dann sorgsam unter Heu und Gras so versteckt, dass es unsichtbar ist. Die Eier liegen also teilweise tagelang eiskalt in der Gegend herum: wenn man sich während dieser Zeit durch eine Eiderentenkolonie bewegt, muss man extrem vorsichtig sein, wohin man tritt!
 
Ein "natürliches" Nest: In der Mitte des Bildes befinden sich versteckte Eier...



1 Kommentar: