Montag, 12. März 2018

Die wohl missverstandensten Robben der Welt

Dies ist Teil Zwei meines Blog-Eintrages über die Antarktischen Seebären: Teil Eins ist weiter unten!
:-)
 
  
Um den niedrigen Temperaturen des Südpolarmeeres trotzen zu können, wurden die Antarktischen Seebären mit einem herrlich dichten Fell ausgestattet. Genau dies war leider der Grund, weshalb sie im 19ten Jahrhundert fast ausgerottet wurden: es war stark gefragt für Mützen und Mäntel der Protzgesellschaft der westlichen Welt. Die unmittelbar nach der Entdeckung Südgeorgiens eintreffenden nordamerikanischen Robbenfänger machten die Kolonien dieser Tiere dem Erdboden gleich und 'ernteten' wirklich jedes einzelne Tier, ohne Gedanken an die Zukunft und Nachhaltigkeit. Es ist doch immer die gleiche Geschichte mit uns Menschen... Und so kam es, dass die Art schon in den 1830er Jahren als ausgestorben galt! Zum Glück haben einige Tiere dieses gedankenlose Massenschlachten überlebt und es die Art im Laufe der vergangenen 180 Jahre geschafft, sich wieder zu erholen.


Geblieben ist ihnen eine angeborene Wut auf alles, was zwei Beine hat und aufrecht geht: zumindest ist das meine persönliche Erklärung, weshalb die Seebären uns Menschen gegenüber chronisch schlecht gelaunt sind. Wagt ein Zweibeiner es auch nur ins Sichtfeld eines Seebären zu kommen, wird er erst angeknurrt, und dann angegriffen, manchmal auch vice versa. Es sind echte Grummeltrolle, diese Robben: chronisch miesepetrig und höchst bissig.


Mit diesen Zähnen ist absolut nicht zu spaßen: sie sind spitz und voller netter Bakterien, die nur darauf warten, eine Wunde so richtig fies festern zu lassen. Selbst ein kleiner Kratzer wird hier auf der Station mit der Zahnbürste ausgeschrubbt (autsch...) und sofort mit zwei Arten von Antibiotika behandelt, sofern er von einem Seebärenbiss stammt: dies nämlich, sagen hier alle, ist mit die sicherste Art, sich eine Blutvergiftung einzuhandeln, inklusive einer herrlichen Infektion. Also generell nichts, was irgendwie erstrebenswert wäre...


Die Seebären sind raue Gesellen, deren liebstes Spiel es ist, miteinander zu ringen und sich gegenseitig zu jagen. Ich vergleiche sie gerne mit kleinen Hunden: sie sind extrem aktiv (hyperaktiv wäre ein anderes Wort...) und gleichzeitig äußerst aggressiv, zumindest so lange, bis es ans Eingemachte geht. Hat man den Nerv, den Angreifern die Stirn zu bieten, dann erlebt man, dass sie ihren Angriff dann abbrechen, wenn ihre Schnurrbarthaare den Gegner berühren - zumindest meistens. Manchmal beißen sie trotzdem. Und genau deswegen verlassen wir hier in Grytviken das Haus nicht, ohne einen Stock dabeizuhaben: denn der stoppt die Robben und nimmt den Biss entgegen, so er kommen sollte.


Bei der Menge an Pelzrobben, welche die Strände hier bevölkern, ist es ziemlich schwierig, sich in Ufernähe zu bewegen, ohne eine Robbe zu verstimmen. Schätzungsweise 6 Millionen Antarktische Seebären gibt es wieder hier auf Südgeorgien, wobei die Anzahl weiterhin steigt. Auf dieser einen Insel leben 98 Prozent der globalen Population! Das obige Bild ist ein 'leerer' Strand hier bei uns tief im Fjordinneren. Die Küsten mit direktem Zugang zum offenen Meer sind viel, viel voller. Dort kann man sich als Mensch wirklich gar nicht mehr bewegen! Zumal auf den Stränden ja 'nur' jene Robben sind, die geschlechtsreif sind bzw. einem Harem zugehören. Die Jungen und Außenseiter wandern hinein in die Vegetation und klettern im Laufe des Sommers gar die Berghänge empor, wo sie sich liebend gerne zwischen den Tussockgräsern verstecken. Wie oft wir uns dort gegenseitig erschreckt haben, kann ich schon gar nicht mehr zählen...


Ständig angeknurrt und angegriffen zu werden, ist zugegebenermaßen ein eher unschönes Gefühl. Da jährlich mehrere Menschen von Seebären gebissen werden, habe ich von Seiten der Kreuzfahrttouristen und Guides öfters die Frage gehört, was denn die Regierung Südgeorgiens gegen das 'Pelzrobbenproblem' zu tun gedenke. Ich antworte dann immer: die Robben haben ja wohl mehr Recht, hier zu sein, als wir! Dass sie sich im letzten Jahrzehnt expotentiell vermehrt haben (in etwa so, wie die Touristen auf Island...), bedeutet nicht, dass dies nicht der Lauf der Natur wäre. Wir Menschen haben fast alles ausgerottet hier unten, allen voran die krillfressenden Wale. Ohne diese Riesenstaubsauger gibt es momentan viel mehr Futter im umliegenden Meer, wovon die Robben profitieren. Die Wale erholen sich zwar mittlerweile auch, aber halt viel langsamer: und nun nach Jahrzehnten des großen Fressens, herrscht bei den Seebären totale Überbevölkerung. Die Population hat, vermutlich, die Grenze ihrer Belastbarkeit erreicht. In Anbetracht dessen ist es wohl kaum verwunderlich, dass die Tiere ein großes Maß an Stressverhalten und Aggression zeigen!


Nach einem Sommer unter Seebären muss ich sagen: bei den kleinen Grummeltrollen handelt es sich um eine von uns Menschen chronisch missverstandene Spezies. Kaum einer mag sie, alle begegnen ihnen mit Misstrauen und Kontra-Aggression. Dabei sind die kleinen Schnappkiefer eigentlich nur verstört! Es sind echte Angstbeißer, deren Überlebensmotto ist: „Angriff ist die beste Verteidigung!“ Man muss sich nur mal in ihre Situation versetzen! Wir Menschen sind extrem einschüchternde Gestalten: riesig ragen wir über ihnen auf, und unsere normale (für sie schnelle) Schrittgeschwindigkeit wirkt extrem bedrohlich auf sie. Kein Wunder, dass sie verängstigt sind: und deswegen laut von sich hören lassen. Würde man ihr Knurren übersetzen, dann käme wahrscheinlich Folgendes  dabei heraus:
„Eh, stör mich nicht beim Schlafen! Du bist mir zu groß und unheimlich – und außerdem ist das mein Territorium! Sag mal, hast du Tomaten auf den Ohren? VERPISS DICH!“


Wenn man einen respektvollen Abstand einhält, die Robben nicht direkt anschaut und sich langsam bewegt, dann sind die Tiere merkbar gelassener. Klar, sie knurren immer noch, aber es ist mehr ein „Eh, du bist zu groß - halte lieber Abstand!“ und kein „Ich fürchte um mein Leben und beiße dich gleich!“

Und lässt man sich dann am Boden nieder und ragt man nicht mehr so riesig über ihnen auf, dann kommen sie, um einen auszukundschaften: neugierig-still bist verunsichert-knurrend hoppeln sie einem entgegen. Die Jungtiere sind, wie alle jungen Tiere, viel unbefangener und neugieriger: sie lasse ich gerne an mir schnüffeln und an meinen Stiefeln oder Schnürsenkeln herumknabbern.


Bei den Einjährigen (Teenagern) ist schon etwas mehr Vorsicht geboten, und bei allem ab Schäferhundgröße kommt der Stock als Abstandhalter zum Einsatz – sicher ist sicher. Ich habe weiterhin einen ordentlichen Respekt vor ihren Zähnen und potentiell unberechenbar-aggressivem Naturell. Aber generell gilt: verhält man sich ruhig, dann ignorieren bzw. akzeptieren sie einen ziemlich schnell, oder aber betrachten einen als willkommenes Unterhaltungsprogramm. Sie sind im Grunde ihrer Seele friedfertige, harmoniebedürftige Gesellen, diese Grummeltrolle – bei Aufregung vergessen sie das bloß manchmal. ;-)

Freitag, 9. März 2018

Seebären – die wahren Herrscher Südgeorgiens


Den Sommer auf Südgeorgien kann man ziemlich einfach in zwei Hälften aufteilen: die erste gehört den See-Elefanten, und die zweite den Seebären. Wenn nämlich die See-Elefanten die Strände verlassen, weil sie nach der intensiven Jungenaufzucht und Paarungszeit erst einmal mehrere Wochen lang im Meer ihre Reserven auffüllen müssen, dann übernehmen ihre kleineren Verwandten die Strände.


Die Antarktischen Seebären sind Pelzrobben, welche größenmäßig zwischen Schäferhund bis Mastschwein einzuordnen sind: dies beschreibt die Körpermaße der erwachsenen Tiere, also ohne Beine. Wikipedia sagt: die männlichen Seebären können bis zu 190cm lang und bis zu 150 Kilogramm schwer werden. Wie bei den See-Elefanten, so sind die Männchen wesentlich größer als die Weibchen, und genau wie bei ihren riesigen Kollegen kommen die Männer zuerst an Land und sichern sich ein Territorium von knappen 10 bis 30 Quadratmetern Strandbereich. Es sind prächtige, stolze Kerle, die Seebären-Männer: vor Kraft und Energie nur so strotzend, zeigen sie ihre kurze Mähne - und warten auf die Weibchen, die erst an Land kommen, wenn die Geburt ihres (im letzten Sommer gezeugten) Jungtieres unmittelbar bevorsteht.


Die Weibchen werden von den Männchen zu Harems zusammengetrieben und wie ein Schatz bewacht. Niemand ist innerhalb des Harems erlaubt: keine anderen Robben (außer noch mehr Weibchen...), keine Menschen, keine wild spielenden (Robben-)Teenager und ganz besonders keine anderen Männchen. Den Weibchen ist das nur Recht, sie wollen ihre Ruhe haben, ganz besonders, wenn ihr Nachwuchs endlich da ist. Die neugeborenen Seebärchen sind zugegebenermaßen ziemlich niedlich: sie haben riesige, blau-schillernde Augen und erstmal nichts anderes im Sinn, als zu trinken und zu schlafen – Babys halt...


Die Seebärenweibchen säugen ihre Jungen deutlich länger, als die See-Elefanten, nämlich vier Monate lang. Weil sie in der langen Zeit selbst bei Kräften bleiben müssen, schwimmen sie alle Paar Tage aufs Meer hinaus. Die kleinen Seebärchen sind während dieser Nahrungs-Streifzüge regelmäßig auf sich alleine gestellt, womit sie aber absolut kein Problem haben. Sie rotten sich zu Spielgruppen zusammen, lernen schwimmen, erkunden die Umgebung und schlafen, wo immer es ihnen beliebt: sie haben ja hier so gut wie keine Feinde. Die Riesensturmvögel und Skuas schnappen sich ein paar Jungtiere, wenn sie noch klein und hilflos sind: aber die Zeit ist schnell vorbei. Seebären werden schon aggressiv geboren, und ihre spitzen Zähne machen sie zu einem gefährlicher Gegner, selbst für Riesen wie meine geliebten Neo-Velociraptoren.


Um ihr Jungtier nach der Essenspause wiederzufinden, nutzen die Mütter ihre Stimme: es ist ein lauter, durchdringender Ruf, der extrem menschlich klingt. Die Weibchen haben schöne Sopranstimmen, und sie nutzen Vokale, vor allem I und U. Teilweise klingt es so, als würden Frauen Ji(iiiiiiiii)m oder Bo(ooooooooooo)b rufen!


Ihr Jungtier antwortet, wenn es den charakteristischen Ruf der Mutter hört, mit einer Art Meckern, einem raspelnden Ä, das wie eine Mischung aus Zicklein und knatschigem Kind klingt. Bei Tausenden von Robben innerhalb einer Bucht herrscht also das Gegenteil von Stille. Schließt man die Augen, dann kann man sich vorstellen, in einem Freibad zu stehen, in dem gerade hunderte Kinder toben, jauchzen und ausgelassen lärmen - zusammen mit einer Herde Ziegen...


Seebären sind, wie ihr es ja schon gesehen habt, eher einfarbig: die Jungtiere sind komplett schoko-braun und bekommen erst nach drei Monaten ihr seidig-graues Erwachsenenfell, das am Bauch heller ist als am Rücken. Etwa eines von 800 Jungtieren aber ist leuzistisch, also heller als die Norm: für eine an sich seltene Mutation ist das ein ziemlich hoher Anteil. Hier in der Bucht wurden drei 'Blondies' geboren – es sind wirklich attraktive Tiere! Die helle Fellfarbe scheint ihnen keinerlei Nach- oder Vorteile zu bringen: wenn überhaupt, dann sind ihre Artgenossen minimal neugieriger, was den Kontakt zu den 'Blonden' angeht.


Seebären gehören zur Gattung der Ohrenrobben, und als solche haben sie (wie der Name es so prägnant verrät) Ohren. Nicht, dass die anderen keine hätten, aber die Pelzrobben besitzen externe Ohrmuscheln, die teilweise herrlich vom Kopf abstehen. Ich will mich hier über niemanden lustig machen, aber … nun, sie bringen mich schon manchmal zum Schmunzeln, die kleinen Segelöhrchen!


Die zweite Besonderheit von Ohrenrobben ist ihre extreme Beweglichkeit. Während die Hundsrobben (darunter alle an den deutschen Küsten vorkommenden Robbenarten sowie die See-Elefanten) eine versteifte Hüfte besitzen und an Land nur extrem schwerfällig voran kommen, können die Ohrenrobben ihre Hinterflossen unter den Körper knicken und wie Beine benutzen. Sie sind deshalb ziemlich wendig und können auf unebenem Gelände und glitschigen Steinen einen Menschen einholen. Das ist wirklich eindrucksvoll!


Was mich auch beeindruckt hat, ist die Länge der Vibrissen dieser Tiere, also der beweglichen und extrem tast-empfindlichen Schnurrbarthaare. Besonders die großen Männchen haben auf jeder Seite zwei extrem lange Barthaare: die längste gemessene Vibrisse bei einem männlichen Antarktischen Seebären lag bei 48 cm. Das ist Rekord für alle Robben - und möglicherweise für alle Säugetiere überhaupt.
Diese Vibrissen sind ein eigenes Sinnesorgan, das eine Mischung aus Tasten und Hören ermöglicht. Klingt seltsam? Klar, über Wasser nutzen sie ihre Schnurrbarthaare in etwa so, wie es Katzen tun, eben als Tasthaare. Unter Wasser aber fangen die Vibrissen Schwingungen auf: da wäre einmal Geräusche, aber auch die Bewegung von Wasser. Sie sind damit in der Lage, den 'Spuren' von Fischen zu folgen, lange nachdem der Fisch vorbeigeschwommen ist, und ihn so zu finden. Einige Robben haben dies perfektioniert: die Bartrobbe in der Arktis etwa. Unsere Seebären hier dagegen fressen fast ausschließlich Krill, diese kleinen Krebstierchen, die in millionenfachen Schwärmen fast alles ernähren, was hier in den Gewässern lebt.