Mittwoch, 7. Dezember 2011

Zwischen Himmel und Erde

Der November, so heißt es, ist auf Spitzbergen der schwierigste Monat des ganzen Jahres: die Sonne ist fort, die Kälte kommt, das Wetter ist schlecht und die Stimmung im Keller. Der einzige Lichtblick sind die langen Weihnachtsferien, die für viele schon Anfang Dezember beginnen. Weihnachtsferien, das bedeutet für viele der knapp 2000 Einwohner die Flucht gen Süden, hinein ins Licht und hin zu netten Menschen, die man nicht tagtäglich sieht. Fast alle der insgesamt über 200 Langzeitstudenten an Unis hatten Ende November ihre letzten Pflichtvorlesungen - und eilen sich nun nach den Prüfungen die Insel zu verlassen. Tourismus gibt es um diese Jahreszeit kaum, folglich sind alle Guides woanders, und auch fast alle anderen Jobs vergeben wochenlange Weihnachtsferien. So kommt es dass sich auch viele Familien aufs norwegische Festland begeben, um die Weihnachtszeit bei ihren Verwandten zu verbringen.

Das letzte gemeinschaftliche Ereignis in großer Runde war der Weihnachtsumzug am ersten Advent. Nach einem Fackelzug durchs Dorf, an dem mehrere Hundert Erwachsene und Kinder teilnahmen, versammelten sich alle um den einzigen (und dann auch noch nur temporären) Baum auf Svalbard: den Weihnachtsbaum, der extra aus Norwegen hergeschifft wurde. Gemäß norwegischer Tradition trugen viele Kinder lange rote Zipfelmützen, bildeten mehrere Kreise um den Baum und umrundeten ihn singend.

Begleitet wurden die Festlichkeiten vom örtlichen Blasorchester, das aufgrund der niedrigen Temperaturen (-20°C) allerdings nur im Eingang des Einkaufscenters blieb. Die von Lautsprechern verbreitete Weihnachtsmusik lockte so manch neugieriges Kind an: es gibt hier mehr als dreihundert Minderjährige, eine große Schule die bis zum Abitur führt und sage und schreibe drei Kindergärten!


Nun aber ist es wie gesagt sehr still geworden, und täglich verlassen mehr Menschen die Insel. Die Stimmung ist wieder gut, die Verbliebenen freuen sich wieder auf die kommenden Wochen und sind vielen Dingen gegenüber offener eingestellt. So bekamen wir über das Studium dann auch die Möglichkeit, zwei typisch svalbard'sche Institutionen zu besuchen!

Wer hier in Longyearbyen nicht in der üblichen städtischen Infrastruktur arbeitet, der hat nur drei weitere Möglichkeiten: entweder er verdient sein Geld mit Tourismus, mit Kohleabbau oder in der Wissenschaft. Neben dem Universitäts- und Forschungszentrum UNIS, das 200 Leute beschäftigt, gibt es hier noch eine weitere große Institution: "Svalbard Satellite Station", hier besser bekannt als SvalSat.

SvalSat ist die weltweit größte Satelliten-Empfangsstation ihrer Art. Auf dem Plateau des Platåfjellet (Na? Was bedeutet der Name wohl?) stehen 31 hochmoderne Antennen, kleine bis riesengroße, die meisten von ihnen in großen weißen Kugeln versteckt. Aus der Ferne schaut das Gelände aus, als lägen hier riesige Golfbälle verstreut...


Die weißen Kuppeln sind nichts anderes als dünne Schutzwände, die Sturm und vor allem Schnee von den Antennen abhalten sollen. Was ich hier als "Antenne" bezeichne, sind im Grunde genommen die großen Brüder unserer heimischen Satellitenschüsseln: bloß dass sie statt einem Meter mal eben sechs Meter und mehr im Durchmesser messen. Diese Ungetüme sind voll beweglich und werden von Computern in alle nur denkbaren und undenkbaren Positionen gedreht - ein beeindruckender Anblick!


Aber warum stehen diese riesigen, energiefressenden Dinger unbedingt auf Svalbard? Der Grund sind die sogenannten "polar orbiting satellites": eine große Anzahl von Satelliten, welche sich in einer Pol-zu-Pol-Umlaufbahn um die Erde befinden. 14 mal täglich kommen sie am Nord- und am Südpol vorbei, aber dabei nur zweimal über Deutschland, denn beim nächsten Umlauf passieren sie beispielsweise Kasachstan, dann China, dann Japan, dann den Pazifik... Bei jedem Umlauf sammeln die Satelliten Daten, die von irgendwem genutzt werden wollen. Um diese Daten abzurufen, bedarf es Bodenstationen wie SvalSat. Auch eine so große Antenne wie die oben gezeigte braucht Sichtkontakt, um mit einem Satelliten zu kommunizieren: verschwindet dieser hinter dem Horizont oder hohen Bergen, dann war's das. Während eine Bodenstation in Deutschland nur 2-8 mal täglich in der Lage ist, einen Satelliten anzufunken, schafft SvalSat das aufgrund seiner Nähe zum Nordpol garantierte 14 Mal am Tag.



Wie ein riesiger Pilz steht die Antenne in ihrer Kuppel; ihr äußeres Ende ist dabei immer nur wenige Zentimeter von der Wand entfernt. Der Kopf ist in alle Richtungen beweglich, um die Radiosignale direkt an den jeweiligen Satelliten richten zu können. Sie muss sich auch während des Sendens und Empfangens in gleicher Geschwindigkeit mit dem Satelliten bewegen - weshalb sie sich um alle Achsen in teilweise sehr schnellem Tempo drehen kann!

Diese Ansammlung von Antennen verlang ein ganzes Haus voll mit riesigen Hochleistungscomputern. Das Fotografieren war dort strengstens verboten aus Angst vor Industriespionage. Es war eine große Halle mit Reihen aus grauen und weißen zwei Meter hohen Kästen, die alle summten und brummten und eine Mordshitze produzierten. Zwei Techniker wuselten rund um die Uhr um diese blinkenden Kästen, schraubten und tippten und hielten alles am Laufen. Insgesamt 25 Mann Personal beschäftigt SvalSat auf Svalbard, diese kümmern sich um die Technik und werten teilweise auch einige Daten aus. Der größte Teil der gewonnenen Informationen wird allerdings über ein eigens verlegtes Unterseekabel nach Tromsø geleitet, das es übrigens auch mir ermöglicht, mit euch zu kommunizieren: denn ohne dieses Kabel gäbe es hier keine Internetverbindung!

In Tromsø beschäftigen sich dann noch einmal 300 Menschen mit dem Auswerten der Daten und dem Weiterleiten an die Auftraggeber: das gibt eine Ahnung davon, wieviel Information diese Antennen herunterladen.
Übrigens: SvalSat gehört zur Kongsberg-Gruppe, einer privaten norwegischen Firma welche rein nicht-militärische Aufträge Satellitenfirmen erledigt. Das sind meteorologische Institute welche Wetterdaten haben wollen, das sind Ölfirmen und NGOs, welche Ölflecken um ihre Bohrinseln aufdecken wollen, das sind NASA und ESA, die mit ihren Raumfahrzeugen kommunizieren wollen, und und und. Die Liste der Kunden und Nutzungen ist lang, aber eines wurde wurde ausdrücklich betont: mit dem Militär bestände keinerlei Zusammenarbeit.
Nun denn. Jetzt wissen wir das auch!

Gruve 7 und die naheliegenden Radar-Antennen, die zum UNIS-Projekt "SPEAR" gehören

Mindestens ebenso lehrreich wie die Visite bei SvalSat war der Besuch von
Gruve 7. "Grube 7" ist die letzte aktive Kohlemine hier im Tal, die nur noch im kleinen Stil betrieben wird, gerade genug, um Longyearbyen mit Kohle für das Kohlekraftwerk zu versorgen. 80.000 Tonnen Kohle werden hier pro Jahr gefördert, davon verbrennt Longyearbyen 30.000 Tonnen und wird der Rest nach Europa verschifft, wo die Kohle in der Metallindustrie verbraucht wird.


Kohleabbau war schon immer der Hauptwirtschaftszweig auf Spitzbergen, alle Herren Länder haben es früher oder später einmal versucht: Holländer, Franzosen, Deutsche, Schweden suchten hier im 20. Jahrhundert das schwarze Gold. Heute gibt es nur noch zwei aktive rentable Minen: die norwegische in Svea und die russische in Barentsburg. In Svea sind 300 Leute beschäftigt: die leben dort aber wirklich nur während der zweiwöchigen Schicht und reisen dann entweder für zwei Wochen nach Longyearbyen oder zurück ans Festland. In Gruve 7 allerdings arbeiten momentan nur 23 Menschen, und davon sind nur eine Handvoll Bergarbeiter - mehr werden nicht benötigt.

Bent beispielsweise hat schon 23 Jahre als Bergmann auf Spitzbergen gearbeitet. Als wir ihn trafen, bediente er gerade eine Maschine namens Continous Miner. Dies ist ein flacher Bohrer mit Fließband: vorne graben sich stählerne und in alle Richtungen bewegliche Klauen in die Kohle und brechen diese aus dem Berg. Diese wird von einem Förderband nach hinten geschoben und gesammelt.

Dezimeter um Dezimeter fräste sich dieer Metallmaulwurf in den Berg, immer gesteuert von Bent über eine laptopgroße, drahtlose Fernbedienung. Kohlestaub lag in der Luft: ich fühlte mich urplötzlich nach Island zurückversetzt! Statt Vulkanasche war es diesmal Kohlestaub, der überall seinen Weg hinein fand: in die Augen, zwischen die Zähne und leider auch in meine Kamera, die jetzt eine Vollreinigung braucht. Aber der Gefahr war ich mir ja völlig bewusst!

Bent hatt ein Messgerät am Anzug stecken, das ihn über die Methanwerte sowie den Kohlenstaubanteil der Luft informierte. Sämtliche Maschinen im Berg sind elektisch betrieben: der von ihnen aufgewirbelte Kohlestaub ist hochentzündlich, der Einsatz von Verbrennungsmotoren wäre hochgefährlich. Selbst ich mit meiner Kamera stellte eine Gefahr da und musste erst Bent messen lassen, bevor er mir das OK zum fotografieren gab.


Alle 5 Minuten kamen Jan oder Sven-Tore in sehr lustigen, niedrigen Transportmaschinen angefahren. Sie steuerten ihr Fahrzeug im Liegen und nahmen all die Kohle entgegen, die Bent und sein Continuous Miner in den vorhergegangenen Minuten geschürft hatten. Das Kohleflöz war an dieser Stelle relativ dick: Bent konnte problemlos stehen. Die Maschinen können und müssen allerdings auch in nur ein Meter breite Gänge einfahren: deshalb waren sie so niedrig gebaut und müssen die Fahrer liegen.

Kohlrabenschwarz waren wir, als wir nach zwei Stunden das Bergwerk wieder verließen, staunend, beeindruckt und fröhlich. Nicht viele Menschen bekommen Eintritt in Gruve 7 und die Möglichkeit zu diesem wirklich höchst interessant Besuch unter Tage. Wir empfanden es alle als großes Privileg, den Arbeitern einer aktiven Kohlemine über die Schulter zu schauen - denn in gewisser Weise ist es ein aussterbendes Handwerk!


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